Nach dem „Anschluss“ an Hitler-Deutschland blieb in Österreich kein Stein auf dem anderen. Auch nicht an der Akademie der Bildenden Künste, wo 1938 jeder fünfte Mitarbeiter seinen Dienst quittieren musste. Auch rund sieben Prozent der Studierenden waren aus „rassischen“ oder sonstigen Gründen vom Machtwechsel betroffen, wie die Historikerin Verena Pawlowsky in einer jüngst veröffentlichten Studie über die Wiener Kunstakademie zur Zeit des Nationalsozialismus ausführt.

Die Studentin Maria Lassnig gehörte laut dieser Studie nicht dazu. So ist es einer Fußnote zu entnehmen, die bereits großen Widerhall in den heimischen Medien fand. Pawlowsky im O-Ton: „Die vor allem in den Nachrufen des Jahres 2014 erfolgte Darstellung, Lassnigs Bilder seien als ,entartete Kunst‘ bezeichnet worden und sie selbst habe die Akademie 1943 verlassen müssen, kann durch die vorliegenden Quellen nicht belegt werden. Die zuerkannten Stipendien zeigen im Gegenteil, dass die Künstlerin sogar gefördert wurde.“

Gau-Stipendium


Tatsächlich hatte die Junglehrerin aus dem Metntitztal, die 1941 in die Meisterklasse von Wilhelm Dachauer aufgenommen wurde, nicht nur mehrfach das Kärntner Gau-Stipendium erhalten, sondern im Feber 1945 – also kurz nach Erlangung ihres Diploms – auch ein mit 500 Reichsmark dotiertes „Staatsstipendium zur künstlerischen Weiterbildung“. Doch rechtfertigen diese Erkenntnisse den neuerdings erhobenen Vorwurf, die Grande Dame der österreichischen Malerei hätte „der von Journalisten und Kunsthistorikern verbreiteten Mär der verfemten Künstlerin nicht entschlossen widersprochen“ („Falter“) bzw. sei dieser Darstellung „in Interviews nicht entgegengetreten“ (APA)?


Dass dies sehr wohl der Fall war, belegt ein Interview, das die Künstlerin 2006 der Kleinen Zeitung (Ausgabe vom 18.1.) gab. Darin erinnert sich die damals 86-Jährige an die schwierigen Kriegsjahre im Haus am Schillerplatz: „Ich habe in der Akademie angefangen, mit wirklichen Farben zu malen. Da hat der Professor Dachauer zu mir gesagt: ,Sie Lassnig, das geht bei mir nicht, Sie verderben mir meine Schüler. Ich möchte Sie nicht mehr in der Klasse haben.’ Ferdinand Andri hat mich dann sofort genommen. Ich bin keine Verfolgte, wirklich nicht. Da hat es weit Schlimmeres gegeben. Ich hatte aber Probleme, weil ich in Klagenfurt mit einem französischen Fremdarbeiter befreundet war. Ich hätte ihn sogar heiraten sollen. Ist aber nichts daraus geworden, weil ich nicht französisch kochen konnte. Es war ein unschuldiges Verhältnis, aber nicht ungefährlich.“


Maria Lassnig hat also nie behauptet, die Akademie vorzeitig verlassen zu haben, noch hat sie sich als Opfer des NS-Regimes empfunden. Vielmehr erging es ihr wie zahlreichen ihrer Kollegen, die im Umfeld diffuser nationalsozialistischer Kunstvorstellungen ums Überleben kämpften. So konnten ihre Kärntner Landsleute Anton Kolig und Werner Berg mit einigen ihrer Werke als „entartet“ gelten und gleichzeitig von NS-Größen wie Friedrich Rainer gesammelt werden.


Vom genannten Gauleiter hatte Lassnig auch ihre Gau-Stipendien erhalten. Dies hinderte sie aber nicht daran, mit einem französischen Fremdarbeiter oder mit dem widerständigen Schriftsteller Michael Guttenbrunner befreundet zu sein, der wegen seiner Weigerung, das Horst-Wessel-Lied zu singen, von der Schule geflogen war und später wegen „illegaler Betätigung für die verbotenen Sozialdemokraten“ verhaftet wurde.


Eine NS-Widerstandskämpferin war Maria Lassnig freilich nicht. Aber auch keine Opportunistin, die „der von Journalisten und Kunsthistorikern verbreiteten Mär der verfemten Künstlerin“ nicht zumindest einmal öffentlich widersprochen hätte.


Buch-Tipp: Verena Pawlowsky: „Die Akademie der bildenden Künste Wien im Nationalsozialismus“, Böhlau-Verlag, 123 Seiten, 20 Euro.