Publikum und Kritiker waren begeistert von Ihrer Darstellung des Paul in der Premiere von Erich Wolfgang Korngolds „Toter Stadt”. Was ist das „Geheimnis” Ihres Erfolges als Einspringer in der Grazer Oper? Und fühlen Sie sich weiterhin wohl in der Produktion, die ja noch drei Mal gezeigt wird?


ZOLTÁN NYÁRI: Ich gestehe, ich war selber überrascht vom Erfolg. Ein Sänger macht, wie jeder andere in seinem Beruf, vor allem einmal seinen Job, als reiner „Handwerker” - während der Vorbereitungszeit, der Proben, der Ruhezeiten, und sogar in den Vorstellungen. Natürlich will jeder in der Folge künstlerisch bestmöglich überzeugen, aber zunächst geht es nur um technische und nicht um künstlerische Aspekte. Sobald einen bei den Proben aber die Muse streift, fängt man an zu spüren, dass es auch um Kunst geht. Wenn man in so einer Opernproduktion engagiert ist wie ich hier in Graz, in der vom ersten Moment an glasklar ist, was der Regisseur und der Dirigent wollen, schaut die Muse jedoch nicht nur vorbei, sondern ist von Anfang an präsent. Dann ist es mein einziger Job, mit fokussierter Arbeit darauf zu achten, dass es auch so bleibt.


Was ist für Sie das Faszinierende an Johannes Eraths Inszenierung in Graz?


NYÁRI: Ich liebe die Poesie in seiner Regiearbeit. Sie ist logisch, klar und versucht zu keiner Zeit, die Musik zu überlagern. Seine Inszenierung trägt noch dazu bei, die Musik voll genießen zu können, so wie sie das Grazer Opernorchester mit expressivem Spiel gestaltet – unter Dirk Kaftan, der an jedem Takt und Klang gefeilt hat. Das schätze ich sehr. Ich bin übrigens ohnehin ein Fan von symbolreichen Inszenierungen, weil die Oper das idealste Genre ist, um verschiedenste Kunstformen zu vereinen: Bildende Kunst, Musik, Theater, Poesie, manchmal auch Tanz zur selben Zeit am selben Ort! Wo passiert das sonst?


Die letzte Vorstellung der „Toten Stadt” musste abgesagt werden, weil sie kurzfristig krank wurden. Was geht einem Sänger da durch den Kopf außer „shit”!


NYÁRI: Es tat mir wirklich sehr Leid, dass das passierte, und ich muss beim Publikum um Verzeihung bitten, das schon mit hohen Erwartungen ins Theater kam und die Vorstellung dann nicht sehen konnte. Das muss für viele eine große Enttäuschung gewesen sein. Unglücklicherweise erwischte mich die Grippe, trotz Vorbeugung und Vitaminstößen. Ich sang in Budapest die Premiere von Wagners „Rheingold”, da waren schon etliche meiner Kollegen krank und haben mich wohl angesteckt. So geschwächt, wagte ich mich jedenfalls nicht an die „Tote Stadt”, die einem ja enorm viel abverlangt, und es wäre wohl auch kein erinnerungswürdiger Abend geworden – weder für die Zuhörer noch für die Mitwirkenden.


Man sagt immer (und das kann man auch hören): Die Rolle des Paul verlangt vom Sänger hauptsächlich Kraft und Ausdauer. Was ist aus Ihrer Sicht darüber hinaus wesentlich?

NYÁRI: Sich ständig, mit der Partitur in der Hand, die Musik einprägen, nötige Ruhe für das Lernen und eine Menge Vitamine. Ein Raum mit Klavier, in dem man täglich konzentriert üben kann. Dazu ein guter Klavierbegleiter mit scharfsinnigem Gehör, der noch viel mehr über die Musik weiß als man selbst. Zur Entspannung nach den Proben ein feiner Wein und ein komfortables Bett – und viel, viel Zeit für einen selber.


Wie groß ist der Vorteil, wenn ein Opernsänger zuvor Schauspiel studiert hat wie Sie?


NYÁRI: Ein Schauspieler geht ganz anders an eine Rolle heran, vor allem am Anfang. Er nutzt den Bühnenraum bewusster, die Wege, die Posen und Gesten, die Augen. Er versucht seine Stimme viel mehr zu variieren, wie es der Charakter gerade verlangt. All das manchmal sogar auf Kosten seiner körperlichen Verfassung. Ein Opernsänger hat nicht so große Freiheiten, das Wichtigste ist ihm natürlich die Musik, auf die er sich in erster Linie konzentrieren muss. Auch kann er den Klang seiner Stimme nicht so leicht verwandeln. Manches lässt sich mit dem gelernten Timbre vielleicht gar nicht singen, oder die Stimme ist nicht groß genug, um über den Orchestergraben hinweg entsprechend zu klingen.

Zoltán Nyári
Zoltán Nyári © Gabor Dusa/Oper Graz


Sie wechselten in Ihrer Karriere von Musical und Oper ins schwere Opernfach. Wie groß war denn dieser Schritt?


NYÁRI: Schon die Umstellung vom Musical zur Operette schien mir zunächst eine große, aber damals war ich noch sehr jung und es hat mir keine nennenswerten Probleme bereitet. „Hm, das ist es, das passt!”, dachte ich mir dann als Operettensänger, aber allmählich spürte ich, dass ich das Singen noch ernster nehmen müsste, und dass die Rollen für Operntenöre eine noch viel reichere Palette bieten. Also ging ich zum Vorsingen an das Studio der Ungarischen Staatsoper. Géza Oberfrank, der seinerzeit Musikdirektor an der Komischen Oper Berlin unter Walter Felsenstein war, wurde auf meinem Weg zum Opernsänger mein Lehrer. Er brachte mir auch bei, dass meine schauspielerischen Stärken in Ordnung sind, wenn ich sie nur in den Klang umsetze. Musik klingt forte oder piano durch Emotionen, Musik ist nicht bloß trockenes Solfeggio – do, re, mi, fa, so... Ich verdanke Géza Oberfrank enorm viel.


Wo ist eigentlich Ihre Geige, die Sie zunächst studierten? Lehnt die im Eck?


NYÁRI: Da treffen Sie bei mir einen wunden Punkt. Leider habe ich schon ewig nicht einmal mehr einen Blick auf die Geige geworfen, die ich als Jugendlicher so sehr liebte. Sie wartet wohl immer noch hoffnungsfroh auf mich. Von der Geige habe ich viel gelernt, was ich dann ins Singen umsetzen konnte. Manchmal gibt mir ein Dirigent Anweisungen wie einem Geiger, und ich verstehe sofort, was er will.


Ihre nächsten Pläne?


NYÁRI: Ich denke, mir hat sich ein neues Fach aufgetan. Im Juni singe ich in Budapest unter Ádám Fischer den Erik in Wagners „Fliegendem Holländer“. Immer mehr Häuser bieten mir Wagner-Rollen an, und da kann und will ich nicht Nein sagen. Zuvor bin ich aber noch als Hoffmann in „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach und als Max in Webers „Freischütz“ engagiert. Solche Rollen würde ich auch gern in Häusern mit so wunderbarer Akustik wie in der Grazer Oper singen.


Was mich gleich zur nächsten Frage führt: auf Wiedersehen, auf Wiederhören in Graz?


NYÁRI: Ja, ich hoffe in der nächsten Saison!


Bleibt Ihnen neben der Musik noch Zeit für Anderes?


NYÁRI: Eindeutig keine Zeit für Hobbys. Aber ich lese sehr gern. Und wir haben einen Hund und zwei Kätzchen, die täglich ganz schön viel unserer Zeit beanspruchen. Meine Familie ist mir natürlich sehr wichtig. Bei meinen ständigen Engagements sehe ich meine Frau und meine zwei kleinen Töchter leider nur sporadisch, aber wenn ich daheim bin, ist das „aktive Ruhe”. Ich liebe sie sehr!


Leben Sie also eher im Flugzeug als in Budapest?


NYÁRI: Flugzeuge...ich möchte nicht in Flugzeugen leben. Ich liebe Budapest, auch wenn es für Künstler heutzutage ziemlich schwer ist, in Ungarn zu leben. Es würde mich reizen, in eine Stadt zu ziehen, in der die Oper einen hohen künstlerischen Stellenwert hat und in der ein Opernhaus ständig auf mich zählen würde.


INTERVIEW: MICHAEL TSCHIDA

Aus unserer Premierenkritik

© Werner Kmetitsch/Oper Graz

Üppig tönende Psychoanalyse

Die imponierende tenorale Strahlkraft des Einspringers Zoltán Nyári und die klangliche Opulenz der Philharmoniker prägen „Die tote Stadt“ von Korngold an der Grazer Oper.
(…) Die überbordende Opulenz der zwischen spätromantischer Tradition, impressionistischen Anklängen und expressionistischen Momenten changierenden Partitur lässt das bis in die Proszeniumslogen wuchernde Philharmonische Orchester raffiniert in vielen Farben schillern. Unter seinem Chefdirigenten Dirk Kaftan (…) gestaltet es ein schwelgerisch und verführerisch gleißendes Kaleidoskop klanglicher Sehnsüchte.
Für den Paul, die „höllischste Tenorpartie der Opernliteratur“ (so Franz Welser-Möst) fand die Grazer Oper in dem ungarischen Einspringer Zoltán Nyári eine ideale Besetzung. Er trotzt den Klangmassen mühelos , glänz mit tenoraler Strahlkraft, verfügt über die nötige Expressivität für die verquälte Figur und gestaltet sehr wortdeutlich. (…)“