Sie hatten für Mailand etliche Opernproduktionen von den Salzburger Festspielen eingekauft, deren Intendant Sie bis Sommer 2014 waren. Der Aufsichtsrat der Scala kürzte daraufhin Ihren ursprünglich bis 2020 laufenden Vertrag auf 15 Monate. Wie plant man da?

PEREIRA: Das ginge ja gar nicht, nur 15 Monate vorauszudenken. Ich habe mich für die mangelnde Kommunikation meiner Pläne entschuldigt und wir haben uns gut geeinigt. À la longue erreichen wir das Gefühl des buon senso, und für die weitere Zukunft habe ich volle Verfügungsgewalt.

Verraten Sie uns schon eine Idee über Dezember 2015 hinaus?

PEREIRA: Es ist noch nicht wirklich spruchreif, aber ich will Nikolaus Harnoncourt für 2016 für ein schönes Projekt gewinnen.

Dabei betont Harnoncourt, der ja am Samstag 85 wird, er wolle nicht mehr länger als ein Jahr vorausplanen. Bei einem TV-Interview sagte er kürzlich selbstironisch, er sei noch jung im Kopf, "aber ab dem Hals abwärts ein Wrack". Eigentlich wolle er ja bald nur noch Bücher lesen und sich seinen Holzschnitzereien widmen.

PEREIRA: Ich besuchte ihn zu Hause am Attersee, da schnitzte er gerade an einem Stuhl mit wunderbaren Drachenfiguren drauf. Und er sprüht natürlich weiterhin vor musikalischen Ideen. Bei Harnoncourt ist es ja offenbar so: Hat er zu viele Termine im Kalender, streicht er welche weg. Streicht er zu viel weg, erschrickt er und sagt: Da muss man was machen! Ich habe ihn wohl genau im richtigen Moment erwischt (lacht).

Wie viele Produktionen gibt es in Ihrer ersten Scala-Saison?

PEREIRA: 19 Opern und acht Ballette, italienisches Repertoire hat Priorität. Der Vorhang hebt sich 270 Mal. Es sollen, auch künftig, Festspiele nach Salzburger Modell werden, nur halt das ganze Jahr über. Eine tolle Produktion schafft jeder, aber Saisonen lang eine Grundqualität zu erreichen, das ist das eigentlich Schwierige. Ob mir das gelingt, sollen die Kritiker beurteilen.

Aber die wichtigeren Kritiker sind die Zuhörer, oder?

PEREIRA: Natürlich. An der Scala gibt es Aficionados, die 50 Mal im Jahr kommen. Die können am besten über das Niveau urteilen.

Außer dem Intendanten selbst.

PEREIRA: Ja, der sollte sein erster und härtester Kritiker sein. Ich bin nach Premieren übrigens nie jauchzend oder zu Tode betrübt. Ist etwas wirklich gut, bin ich ganz still. Da hänge ich nur noch selig in den Seilen und genieße.

In den Ring müssen Sie auch mit den anspruchsvollen "Loggionisti" steigen. Die berühmt-berüchtigten Habitués vergiften mit ihren Buhrufen und Pfiffen von den obersten zwei Rängen herab, oft mitten in Arien hinein, das Klima im Theater. Wie gehen Sie denn mit diesen "Hooligans" der Scala um?

PEREIRA: Ich bin schon offensiv auf sie zugegangen und habe sie um mehr Toleranz gebeten. Ich sagte ihnen: Wenn von den 30 berühmtesten Sängern der Welt zehn nicht in der Scala auftreten wollen, muss ich zehn andere nehmen, die sie mir womöglich auch wegbuhen, und dann muss ich noch eine Stufe tiefer gehen in der Qualität. So richtet sich der Widerstand ja letztlich gegen ihre eigene Liebe zur Oper.

Wen hat die Scala zuletzt durch die "Loggionisti" verloren?

PEREIRA: Roberto Alagna und Piotr Beczala etwa, zwei der besten Tenöre derzeit. Die vergrämte Cecila Bartoli kam eine Zeitlang nicht, im Oktober wird sie bei uns ein Vivaldi-Programm singen. Auch Ferruccio Furlanetto habe ich überzeugt, wiederzukommen.

Ist es auch eine Frage der Börse, Spitzensänger angeln zu können?

PEREIRA: Unter Karajan waren die Gagen seinerzeit viel höher. Mit dem Boom der "Drei Tenöre", den ganzen Freiluftveranstaltungen und Klassik-Tingeleien wurden die Honorare aber wieder in die Höhe getrieben, das schadet den klassischen Häusern.

Was können Intendanten diesen Auswüchsen entgegensetzen?

PEREIRA: Wir haben einen Trumpf in der Hand: Karrieren werden immer noch auf der Opernbühne gemacht und nicht im Konzertmassenbetrieb auf Waldbühnen. Es gibt immer Sänger, die noch schöneren Mädchen nachlaufen - besser bezahlten, scheinbar noch spannenderen Projekten. In solchen Fällen müssten Theaterdirektoren enger zusammenrücken, aber ich kenne das auch von mir: Zum Schluss frisst der Teufel Fliegen. Und wenn ich mir hundertmal schwöre, dass der oder der Hutzelputz nie mehr bei mir singt, krieche ich ihm in der Not doch in den Hintern und sage: Tausend Dank, dass Sie das für uns gemacht haben!

Reibt einen das Kaufmännische manchmal auf? Würde man gern ordentlich reingreifen in den Topf?

PEREIRA: Das würde verbilden, wenn ich mir nichts, dir nichts sagen könnte: Ich zahle dem und dem einfach 50.000 Euro. Man muss doch von jedem Theaterdirektor erwarten können, dass er mit Geld umgehen kann, sonst stellt er ja die Glaubwürdigkeit seines eigenen Hauses infrage und destabilisiert es. Leider herrscht dennoch das Klischee, dass ein Intendant morgens das Fenster öffnet und 10.000 Euro auf die Straße wirft, kurz zumacht und je nach Bedarf noch einmal 10.000 Euro nachwirft.

INTERVIEW: MICHAEL TSCHIDA, MAILAND