Was ist Sein, was ist Schein bei diesem sommerlichen Gartenfest? Was Innenwelt, was Außenwelt? "Oft ist auch die Wirklichkeit eine gute Erfindung", heißt es an einer Stelle in "Gegenwart der Erinnerung".
Der Fotograf Diabelli (Christoph Rothenbuchner) und seine Schwester Johanna (Philine Bührer) haben illustre Gäste aus Kunst und Politik zu sich geladen, wagen aber diesmal ein Experiment: Sie wollen alles so gestalten, dass es bis ins letzte Detail eine Wiederholung der im Jahr zuvor veranstalteten Feier wird. Bald schon scheinen die Zeiten aufgehoben und die Grenzen von Erinnerung und Gegenwart zu verschwimmen. Nur der beste Freund der Geschwister, Komponist Fritz Burgmüller (Sebastian Reiß), zweifelt an der ständigen Wiederholbarkeit des Seins. Und dann verschwindet plötzlich der Maler Florian Waldstein (Florian Köhler) im See...
"Das Schöpferische ist unsere einzige Chance", sagte Gert Jonke einmal. Der 2009 mit 62 Jahren allzu früh verstorbene Kärntner Schriftsteller selbst schöpfte mit beiden Händen aus der Sprache und der Musik und der Fantasie, wie viele Texte noch besser beweisen als sein Stück "Gegenwart der Erinnerung" aus 1995, eine Weiterverwandlung einer Erzählung aus 1965. Darin verirren sich seine Bühnenfiguren allmählich in der Zeit und wissen bald nicht mehr, ob ihr Gartenfest nun erlebte Gegenwart oder erzählte Vergangenheit ist.
Für Christiane Pohle, die nach dem Gastspiel von Jonkes "Chorphantasie" bei "Graz 2003" und ihrem sehenswerten "Untergeher" von Thomas Bernhard 2013 wieder am Grazer Schauspielhaus inszeniert, ist das Stück nicht nur eine Versuchsanordnung zum Verschwinden der Erinnerung, sondern auch zum Verschwinden des Künstlers aus der Gesellschaft. Der 46-jährigen Berlinerin gerät der Nachweis dafür allerdings zu zäh und zu lang, ohne wirklichen Rhythmus. Und warum der Großteil der Szenen hauptsächlich im Dunkeln spielen muss (Bühne und Kostüm: Penelope Wehrli), erschließt sich niemandem. So wird das Changieren zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen die sich ständig der Vorhang des Rätselhaften schiebt, nur weiter ermüdend.
Zum "Festspiel", wie es Autor selbst genannt hat und zu dem Gerriet K. Sharma eine reduzierte, skurrile Musik für die auf der Bühne präsenten Lukas Hirzberger (Trompete) und Matthias Frank (Xylophon, Vibraphon) liefert, wird das Stück jedenfalls nie. Wofür am wenigsten das spielfreudige Ensemble selbst kann, weiters besetzt mit Thomas Frank, Franz Xaver Zach, Franziska Benz und Gerhard Balluch, der quasi als Basso Continuo ständig zu sagen hat: "Man will aber auch wieder nach Hause". Das dachten sich schon in der Pause viele, wie man an den leeren Sesseln erkannte, und zum Schluss des fast dreistündigen Abends (mit Pause): endenwollender Applaus.
MICHAEL TSCHIDA
Nächste Aufführung: Samstag, 17. Jänner, 19.30 Uhr, Schauspielhaus Graz. Karten: Tel. (0316) 8000. www.schauspielhaus-graz.com
MICHAEL TSCHIDA