Das Buch, das bereits kommende Woche in der Übersetzung von Norma Cassau und Bernd Wilczek im DuMont Verlag auf Deutsch erscheint, spielt im Jahr 2022, in einem politisch zerrissenen Frankreich, dessen Gesellschaft schließlich nach dem Wahlsieg einer Muslim-Partei rasch umgebaut wird. Dabei findet die geschilderte "Unterwerfung" der schwerfällig, satt und träge gewordenen liberalen westlichen Lebensform unter die Vorschriften einer taktisch abgemilderten Koran-Auslegung durchaus freiwillig statt und wird von Houellebecq mit perfider Akribie beschrieben.
Die kampflose Aufgabe der Werte der Aufklärung und die explizit sogenannte "Kollaboration" nicht nur der einzig in der Angststarre gegen Rechts vereinten politischen Klasse, sondern auch der französischen Intellektuellen, geht einher mit einer anderen ethischen Kontinentalverschiebung: der freiwilligen Unterwerfung der Frau. Ein radikaler Umbau der Familiengesetzgebung zieht die Frauen massenhaft vom Arbeitsmarkt heim an den Herd, die Arbeitslosenraten schnellen dadurch nach unten. An der mit Stern und Sichel geschmückten "Islamischen Universität Paris-Sorbonne" lehren nur noch Männer, ihre Studentinnen sind "hübsch, verschleiert, schüchtern" - Heiratsvermittlerinnen sorgen dafür, dass auch unattraktive, misanthropische Professoren wie der Protagonist und Ich-Erzähler Francois ganz aufwandlos blutjunges Frischfleisch ins Bett bekommen. Polygamie ist offiziell erlaubt - ein ernsthaftes Argument für den atheistischen und bei der muslimischen Machtübernahme frühpensionierten Literaturwissenschafter, seine Konversion und sein Uni-Comeback in Erwähnung zu ziehen.
Der Roman "Unterwerfung" ist provokant frauenfeindlich, in der Schilderung der kampflosen Aufgabe aller emanzipatorischen Werte ebenso wie in den zahllosen Sexszenen, in denen sich der Protagonist, dem der Autor zweifellos viele eigene Züge mitgegeben hat, lustlos doch unermüdlich abarbeitet. Und er ist provokant in seiner halb-distanzierten, halb-ironischen Beschreibung der Dinge. Francois sieht der Entwicklung zu, hört sich interessiert die Analysen seiner scharfsinnigen Freunde an, aber er wertet nicht. Er selbst ist "politisiert wie ein Handtuch". Das Buch ist keine Dystopie, schildert keine Schreckensvision, sondern eine mögliche politische Entwicklung, die mit den am Mittwoch abgegebenen Schüssen noch brisanter und aktueller erscheint.
Auf Seite 56 des Romans sind in einem beschaulichen Treffen eines Intellektuellenzirkels im Pariser "Musee de la vie romantique" plötzlich Schüsse zu hören, gefolgt von Explosionen. "Das erste Mal, dass es in Paris knallt", bemerkt einer der irritierten Gäste. Kein Leser wird in den nächsten Wochen diese Szene lesen können, ohne an die dramatischen Bilder zu denken, die sich diese Woche wenige Kilometer davon entfernt real abspielten. "Welches Buch könnte besser in unsere Zeit passen als dieses?" hat DuMont das Buch im Vorfeld beworben - ein Slogan, der sich nun auf erschreckende Weise bewahrheitet hat.
Die von Francois wahrgenommenen Schüsse und brennende Autos an der Place de Clichy zählen zu von den Medien totgeschwiegenen Unruhen im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2022. Das politische Establishment - die zweite Amtsperiode des schwachen und politisch längst bedeutungslosen Präsidenten Francois Hollande geht gerade zu Ende - möchte die Zuspitzung der Lage verharmlosen und das Land, das durch die Polarisierung zwischen Identitären und Dschihadisten Richtung Bürgerkrieg treibt, durch bloßes Ignorieren der Situation befrieden. Als im zweiten Wahlgang nur noch eine Koalition von Bürgerlichen und Sozialisten die Machtübernahme des Front National (wo noch immer Marine Le Pen Frontfrau ist) verhindern kann, kommt es zum Schulterschluss einer "republikanischen Front" - der in der Realität einer Kapitulation gleichkommt.
Während der Zentrumspolitiker Francois Bayrou als neuer Premierminister zum Hampelmann der neuen Machthaber wird und als "politisch konturloses Tier" symbolisch für das Versagen des bisherigen Systems verächtlich gemacht wird, schreitet der charismatische muslimische Intellektuelle Mohammed Ben Abbes als Lichtgestalt und neuer Präsident zügig zum großen Umbau des Abendlandes. Saudische Petro-Dollars finanzieren ein ambitioniertes Bildungsprogramm, die ungebrochene Anziehungskraft der EU ermöglicht die Vision eines Groß-Europas unter Einbeziehung des Mittelmeerraums und nicht-christlichen Vorzeichen.
So irritierend der politische und gesellschaftliche Zukunftsblick dieses Romans ist, der unter dramatischen Umständen zum Buch der Stunde wurde, so literarisch unergiebig ist er. Dabei hat der Provokateur Houellebecq, der für "Karte und Gebiet" mit höchsten literarischen Weihen versehen wurde, sein Buch ausgerechnet im Literaturbetrieb angesiedelt, den er gleichzeitig nach Kräften dem Gespött preisgibt.
Spezialgebiet von Francois ist der dekadente und spät zum Katholizismus übergetretene französische Schriftsteller Joris-Karl Huysmans (1848-1907). Darüber hatte er eine gefeierte Dissertation geschrieben, die ihn - obwohl selbst gänzlich ambitionslos - nun zum begehrten Intellektuellen macht, um den der neue Sorbonne-Rektor und spätere Minister regelrecht zu werben beginnt. "Sie glaubten im Grunde genommen noch so sehr an die Macht der intellektuellen Elite, dass es beinahe rührend war", ätzt Francois, der sich selbst kaum über andere Dinge Gedanken macht, als darüber, wer für seine nächste Erektion sorgen könnte.
So oder so: "Unterwerfung" ist in jedem Fall ein höchst irritierendes Buch. Und Houellebecq angeblich vorerst einmal untergetaucht, obwohl er in seinem Roman dem Islam durchaus wohlwollend gegenübersteht und der Westen darin deutlich mehr Kritik einzustecken hat. Die Verhältnisse sind nicht nur gefährlich, sondern auch unübersichtlich geworden.