Am Anfang steht eine klare Ansage: "Habe nun ach! Philosophie, Juristerei und Medizin, und leider auch Theologie! durchaus studiert mit heißem Bemühn. Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor". - Heinrich Faust, ein weithin geachteter Gelehrter hat ein Problem: Als Wissenschafter ist er noch nicht in die tiefen Regionen der Erkenntnis vorgedrungen und als Mensch spürt er weniger den Genuss der Sinnenfreude als den schalen Geschmack der Unzufriedenheit.

Rund sechzig Jahre hat Johann Wolfgang Goethe an dieser (literarischen) Figur geschrieben, die seit dem 16. Jahrhundert als einer der am meisten verbreiteten Stoffe durch die europäische Literatur gegeistert war. Der "Faust" gehört allen, unzählige Zitate aus den 12.111 Goethe-Versen sind in den Alltagssprachgebrauch übergewechselt.

Pakt mit dem Teufel

Goethe siedelte die Handlung Anfang des 16. Jahrhunderts, an der Schwelle des Mittelalters zur Neuzeit an, wo sich ein großer ideengeschichtlicher Umbruch entwickelte. War es mittelalterlich-christliche Moral die Menschen auf das Leben nach dem Tod zu vertrösten, so waren die Menschen der aufkommenden Renaissance neugierig auf das Diesseits. Die Welt wollte entdeckt und erforscht werden. Mit allen Mitteln, per Pakt mit dem Teufel. Und wenn dieser geschlossen ist, steht dem ausschweifenden Leben nichts mehr im Weg.

In den ersten "Faust"-Sagen wurde der Titelheld als populäre, volkstümliche Figur präsentiert, ein Narr und Scharlatan, der gefehlt hat. "Faust" landete sogar auf dem Rummelplatz: Ein Süddeutscher Schausteller namens Rudolf Lang tingelte um 1720 mit einer "Faust"-Hundenummer durch die Gegend. Im Zuge der Aufklärung änderte sich der Charakter der Figur: Er wird ein seriöser Suchender, ein nach Erkenntnis Strebender.

Goethe begann 1770 als 21-jähriger am "Faust" zu schreiben. Unmittelbarer Anlass war der Prozess gegen die Kindesmörderin Susanna Margaretha Brandt. Beendet hat er die Arbeit an den insgesamt vier Fassungen bzw. Fortsetzungen und Fragmenten 1831, ein Jahr vor seinem Tod.

Als wirklich großes Stück erwies sich jener "Faust I", der 1808 erstmals veröffentlicht wurde und bis heute in allen möglichen Varianten weltweit gespielt wird. Vom zweiten, spät vollendeten Teil, war der Geheimrat zu Lebzeiten nicht wirklich überzeugt. Er hielt ihn, verschiedenen Quellen zufolge, für kaum spielbar. Gedruckt wurde der Text erst post mortem.

An Goethes Riesensteinbruch "Faust" arbeiten sich alle Generationen ab. Spannende, höchst interessante theatralische Figuren bevölkern das Stück und kaum eine große Menschheitsfrage bleibt ungestellt. Es geht um Wahrheit und Lüge, Gut und Böse, Jugendwahn und Schönheitskult, um Willensfreiheit und Verantwortung.

Enorme Erwartungen

Oper, Ballett, Film, Roman und andere Genres versuchten sich an "Faust"-Variationen. Große Namen wie Heine, Storm, Mann, Bulgakow u. a. sind mit diesen Versuchen verbunden.

Für das Sprechtheater ist der "Faust" ungefähr das, was Wagners "Ring des Nibelungen" für die Oper ist. Ein zentrales, unzerstörbares Großwerk. Regisseure nähern sich ihm an wie Bergsteiger dem Mount Everest. Und für jeden Schauspieler gilt die Titelrolle als Besuch im Olymp. An ihm wird gemessen, seine Bewältigung ist eine Benchmark.

Die heutige Neuinszenierung am Burgtheater durch Matthias Hartmann mit Tobias Moretti in der Titelrolle hat enorme Erwartungen geweckt. Dementsprechend groß ist auch der beiden Risiko, zu scheitern. Doch ab nun gilt: "Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich Taten sehen".