Erst einmal überlebt zu haben - und dann noch mit viel Stil: Wie viele Bands, die in den 1980er-Jahren groß geworden sind, können selbiges heute noch von sich behaupten? Das renommierte "Q"-Magazin nannte Depeche Mode "The most popular electronic band the world has ever known". Hallen, die auch heute noch mit Zehntausenden gefüllt werden und zwölf Studioalben mit über 100 Millionen verkauften Einheiten sprechen für sich.
Die erste Single
Die Keyboarder Martin Gore und Andrew Fletcher hatten bereits in diversen Bands mit durchwachsenem Erfolg gespielt, ehe sie Sänger Dave Gahan mit ins Boot nahmen (und Band-Kollegen Vince Clarke in Richtung Erasure ziehen ließen). Im Februar 1981 wurde die Single "Dreaming Of Me" veröffentlicht, man schaffte es immerhin auf die hinteren Ränge der britischen Charts: Ein kleines und geradezu rührend naives Stück Synthie-Pop, das kaum erahnen ließ, was da an Großtaten noch folgen sollte. Doch: Der Grundstein war gelegt, spätestens mit dem Album "Speak & Spell", das ebenfalls 1981 erschien.
Mit "Some Great Reward" und "Constructing Time Again" war man dann in den Sphären von "Super-Stardom" angekommen. "Everything Counts", "People Are People", "Never Let Me Down Again", "Personal Jesus", "Enjoy The Silence", "Policy Of Truth", "Walking In My Shoes", "Barrel Of A Gun", "Useless" - die Pipeline, aus der über Jahrzehnte große und ganz große Single-Hits flossen, schien kaum zu versiegen. Interessantes Detail: Gore war über Jahrzehnte Songwriter in Monopolstellung, bis auch Frontmann Gahan, ermutigt durch ein recht ordentliches Soloalbum, komponieren "durfte" und Songs beisteuerte.
In der zweiten Häfte der 1990er-Jahre sah sich die Band dann allerdings vor existenziellen Problemen: Gahans Heroin-Abhängigkeit war schon lange kein Geheimnis mehr, wurde allerdings so schlimm, dass man auch im Studio kaum noch auf ihn als Sänger zählen konnte. Einer Beinahe-Überdosis in einem Hotel in Los Angeles folgte der Entzug, heute trinkt er nicht mehr und lehnt Drogen ab. "Ich schrecke jede Nacht um 04:15 Uhr aus dem Schlaf, 04:15 Uhr – das ist genau die Zeit, als mein Herz 1996 stehen blieb. Ich werde wach und weiß schon vor dem Blick auf die Uhr, wie spät es ist. Danach kann ich nicht mehr einschlafen und grüble. Ich glaube, Gott will mich so daran erinnern, dass das Leben gut ist. Und dass ich nicht zu bestimmen habe, wann es zu Ende ist", sagte Gahan zu seiner "Bekehrung". Narben blieben - doch was nicht heilt, ist manchmal heilsam.
Dass Gahan offenbar im letzten Moment noch vom Drogenzug ins viel zu frühe Jenseits abspringen konnte, kam letztlich auch der Musik zugute: Das Konzept, an dem man spätestens seit dem grandiosen "Violator"-Album von 1990 festhält, hat sich bewährt, wurde verfeinert und perfektioniert - auch, wenn die letzten Alben vielleicht etwas die Eingängigkeit der früheren Werke vermissen ließen: Elektropop mit einer Prise Rock. An den richtigen Stellen schnallt sich Gore auch einmal Gitarren um, um der Musik organischeren Biss zu verleihen. Diese Tatsache und Christian Eigner, superber Drummer aus Österreich, der die Band nun seit 1997 begleitet, werten die Live-Shows zusätzlich auf. Was 1984 funktionierte, funktioniert auch im vierten Band-Jahrzehnt noch gut.
Dancefloor-Messen
Religion und Selbstfindung waren und sind beliebte Themen im Depeche-Mode-Mikrokosmos. Gahan selbst meinte einmal, dass es ihm schwer falle, die schönen Seiten des Lebens zu akzeptieren. "Ich habe Probleme, mit der Liebe umgehen zu können, die mir entgegengebracht wird - egal, ob von meiner Familie oder von meinen Freunden". Konzerte der Briten sind dementsprechend sinistre Großraum-Messen. Perfekt dosiert und nach drei Jahrzehnten natürlich relativ voraussehbar - doch an einem guten Tag sind Gahans Bühnenpräsenz und Stimme immer noch ein Erlebnis, das Zehntausende in Gleichklang zu bringen vermag. Allgegenwärtig nagende Melancholie lässt sich besser schlucken, wenn die Musik dazu zackig und tanzbar gerät: Eine alte Weisheit, die kaum eine andere Band so gut verinnerlicht hat wie Depeche Mode.
Enjoy the silence, enjoy the music.