Die Wahrheit ist nicht immer schön, aber der Hunger nach ihr ist es", pflegte Nadine Gordimer zu sagen. Diesen Hunger stillte sie mit Literatur, seit sie 13 war. Da kaufte sich die Tochter eines litauischen Uhrmachers und einer Engländerin, die nach Südafrika ausgewandert waren, ihre erste Schreibmaschine - ein starkes Anzeichen dafür, dass aus ihrer erträumten Karriere als Ballerina nichts (oder besser: gottlob etwas anderes) werden sollte.

Schon mit ihrem ersten, 1953 veröffentlichten Roman "Entzauberung" stellte Gordimer die Weichen hin zu politischem Engagement. Darin schildert sie ein junges Mädchen aus der weißen Oberschicht in Südafrika, das sich nach und nach der knallenden Peitsche der Weißen und des tristen Jochs der Schwarzen bewusst wird. Es ist die Folie ihrer eigenen Erkenntnisse, und nicht zufällig sollte die Autorin, die ihn ihren Essays, Erzählungen und Romanen wie "Der Besitzer", "Die Hauswaffe" oder "Der Ehrengast" (übersetzt vom Grazer Klaus Hoffer) stets vehement gegen die Kontaminierung ihres Heimatlandes durch die Rassenkonflikte auftrat, später als "Geigerzähler der Apartheid" geadelt werden.

Als sozialkritische Beobachterin mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn wuchs Gordimer trotz vieler Widerstände und Publikationsverbote zur couragierten Stimme Afrikas und erhielt 1991 nicht zuletzt dafür den Literaturnobelpreis.

Nach dem Ende des Apartheid-Regimes am Kap hatte die zur UN-Sonderbotschafterin ernannte Schriftstellerin gemahnt: "Der Kampf ist noch nicht vorbei. Der Wiederaufbau ist vielmehr ein Teil davon". Seherische Worte, denn sie musste miterleben, wie die Ideale etwa des Afrikanischen National Kongress ANC verraten wurden, den sie seinerzeit als Protestbewegung ebenso leidenschaftlich unterstützt hatte wie den inhaftierten Nelson Mandela. In ihrem jüngsten Roman "Keine Zeit wie diese" aus 2012 geißelt sie ANC-Chef Jacob Zuma als Beispiel empörender Doppelmoral und urteilte über den früheren Staatspräsidenten Südafrikas: "Wenn man ihn sich ereifern und nach seiner MG rufen hört, dann denke ich an Hitler in der Münchner Bierhalle".

Gordimer, mit dem international renommierten Kunsthändler Reinhold Cassirer verheiratet, der 2001 verstarb, sagte einmal bei einer Geburtstagsfeier: "Hohes Alter ist keine Leistung. Wichtig ist das, was man aus den Jahren macht". Nun ist sie 90-jährig in ihrem Heimathaus in Johannesburg friedlich entschlafen. Ihre Leistung zählt in jedem Fall: Als Mensch mit Haltung. Als Autorin mit wachen Augen und klarer Stimme. Als Mutter Courage von Südafrika.