Chancen dieser Art kommen nicht oft: 2013 sind Sie in den Vorstand der Sattler AG berufen worden. Nach wie vor sind Frauen an der Spitze rar gesät – trauen sie sich noch immer zu wenig zu?

LISBETH WILDING: Fakt ist, dass nach wie vor die Rahmenbedingungen nicht gegeben sind. Stichwort flächendeckende und qualitativ hochwertige Kinderbetreuung. Auch halte ich einen Kulturwechsel in den Unternehmen für unabdingbar. Frauen treffen zumeist auf die Standards und Normen männlicher Lebensrealitäten. Das muss sich ändern. Ebenso sind aber auch die Frauen selbst gefordert, ihre "Opferhaltung" aufzugeben und sich das zu nehmen, was ihnen zusteht. Sie sollten ihr Licht nicht länger unter den Scheffel stellen, sich zutrauen, in der ersten Reihe zu stehen und dafür eintreten. Ich habe neulich gelesen, dass Frauen Fortbildungen am laufenden Band absolvieren, währenddessen Männer die Jobs bekommen. Ich denke diese Aussage trifft es ganz gut.

Was zeichnet denn eine gute Führungskraft aus?
Es gibt keinen sozusagen „einzig wahren“ Führungsstil. Es gilt, unterschiedliche Führungsstile zu beherrschen, Einfühlungsvermögen zu besitzen und ein Gespür dafür zu entwickeln, welche Bedürfnisse der jeweilige Mitarbeiter hat. Der eine Mitarbeiter benötigt etwa mehr Freiraum, um gut arbeiten zu können, während der andere verhältnismäßig eng geführt werden muss, um die selben Ziele zu erreichen. Nur so ist es mäglich, Potenziale bestmöglich auszuschöpfen.

Was hat Sie auf dem Weg zur Spitze weitergebracht?
Wer nach oben will, muss Leistung bringen. Darüber hinaus denke ich, dass Neugier, Lernbereitschaft, der Wunsch, Verantwortung zu übernehmen, Entscheidungsfreude, viel Disziplin und natürlich auch Erfolge dafür ausschlaggebend sind. Es braucht auch immer Menschen, die an einen glauben und eine fördern, Mentoren sozusagen. Ebenso wie ein wenig Glück und Zufall.

Sind Frauen Ihrer Meinung nach gute Netzwerker?
Nein. Einerseits hängt das damit zusammen, dass Frauen sich dafür weniger Zeit nehmen als Männer, das heißt nach dem Tag im Büro nachhause gehen. 50:50 wird noch nicht so gelebt. Andererseits ist unter Frauen noch immer der Gedanke stärker verbreitet, dass Netzwerken mit Freundschaft, Gefälligkeit zu tun hat. Das ist ein Irrtum. Es ist eine Kooperation, die auf Geben und Nehmen basiert. In einem funktionierenden Netzwerk spielen Alphamitglieder, also Entscheidungs- träger, welche andere Mitglieder „hochziehen“ eine wesentliche Rolle – Stichwort Old Boys Club. Sind sie nicht vorhanden, mutieren Netzwerke zu Selbsthilfegruppen.

Kurz zu den Jungen, die in den Arbeitsmarkt drängen: Der Generation Z wird nachgesagt, mehr Interesse an Freizeit als an Geld zu haben. Wie erleben Sie das?
Die junge Generation ist fordernd: gute Bezahlung, eine Aufgabe, die nicht vollkommen vereinnahmt, aber dennoch Spass macht. Eigeninitiative hängt ganz stark vom „Spaßfaktor“ ab. Das Thema „gesicherter Arbeitsplatz“ steht nicht mehr im Vordergrund. Man muss bedenken, dass die junge Generation vielfach „Helikoptereltern-geprägt“ ist, das heißt stets umsorgt, mit wenig Grenzen aufgewachsen. Der stärkste Antrieb für Motivation kommt immer aus einer Art Mangel oder Defizit. Ich möchte etwas verändern, weil mir etwas fehlt, etwas errei- chen, das ich nicht habe. Der ist bei vielen jungen Menschen nicht vorhanden. Die Welt steht einem offen, man hat so viele Möglichkeiten, weiß aber nicht, was man angehen will. Viele sind überfordert und orientierungslos.

Wie sehen Sie Ihr Personal unter diesem Aspekt in fünf bis zehn Jahren? Wir müssen künftig auf Lebensphasen ausgerichtete Arbeitszeitmodelle und Entlohnungspolitik setzen. Ein junger Mensch mit 25 Jahren hat andere Bedürfnisse in punkto Arbeitszeit und Gehalt, als ein älterer. Eigentlich müsste die Einkommenskurve im Verlauf des Arbeitslebens also langsam abflachen, denn Existenzaufbau und Familienplanung sind dann üblicherweise abgeschlossen. So hätte man als Arbeitgeber auch den Anreiz, das wertvolle Wissen erfahrender Mitarbeiter stärker zu nutzen. Mehr ältere Arbeitnehmer einzustellen.

Nicht zuletzt: Wie haben Sie Kind/Karriere gehandelt?
Bei Diskussionen zu diesem Thema wird meist betont, dass alles nur eine Frage der Organisation und gut machbar sei. Zweifelsohne, allerdings muss die Diskussion ehrlich geführt werden, mit Organisation allein ist es noch nicht getan. Es ist ein hohes Maß an Disziplin erforderlich, die Bereitschaft, sich selbst, seine Ansprüche zurückzunehmen. Dem gegenüber steht der Anreiz, gestalterisch tätig zu sein, Verantwortung zu leben, Ideen umzusetzen, zur erfolgreichen Entwicklung eines Unternehmens beitragen zu dürfen. Es steht mir nicht zu, Frauen zu „missionieren“ Führungspositionen anzustreben. Jene jedoch, die eine anstreben, möchte ich ermutigen, diesen Weg einzuschlagen – allerdings ohne Verklärung der Realität. 

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