Ehrlich gesagt: Arbeiten Sie gern?
MICHAEL LEHOFER: Meistens ja, aber nicht immer. Manchmal, wenn ich mir länger keine Auszeit gönne, merke ich, dass ich mich zur Arbeit motivieren muss und dass es nicht umgekehrt so ist, dass die Arbeit mich motiviert. In solchen Situationen kostet die Arbeit mehr Energie, als sie mir bringt. Und das mag ich nicht.

Das ist ein Zeichen, nehme ich an, dass Sie zu viel gearbeitet haben?
Nicht unbedingt. Es geht auch um die Haltung. Wenn die Arbeit nicht mehr zum Erlebnis wird, jedoch Pflicht bedeutet, dann wird sie mühsam. Es geht also nicht um die Quantität von Arbeit, sondern um die persönliche Qualität. Ich unterscheide zwischen Verantwortungsgefühl und Pflichtgefühl. Verantwortung ist ein Zustand von hoher Lebendigkeit, denn man antwortet auf das Leben. Das macht lebendig. Zum Unterschied dazu bedeutet Pflicht, einer Vorstellung davon nachzuhetzen, wie man sich die Arbeit vorstellt. Das ist mühsam, macht unlebendig.

Aber Arbeit ist doch kein Wunschkonzert.
Das stimmt. Arbeit ist jedoch ein Teil unseres Lebens, oft kein zu kleiner. Daher stehe ich dem Wort Work-Life-Balance kritisch gegenüber, denn es suggeriert einen Unterschied zwischen Arbeit und Leben, den es nicht gibt. Das Leben wird zu kurz, wenn wir die Arbeit aus unserem Leben ausklammern. Manchmal fragen mich Menschen, ob man im Leben etwas versäumen könne. Versäumt man, wenn man arbeitet, das Leben? Ich glaube, man kann nur den jetzigen Moment versäumen. Sonst kann man im Leben nichts versäumen. Die Arbeit ist kein Wunschkonzert. Wir sind es uns jedoch schuldig, die Arbeit als Teil unseres Lebens zu akzeptieren und diesen Teil unseres Lebens mit unserem Leben zu füllen.

Aber hängt das letztlich nicht von den Arbeitsbedingungen ab?
Natürlich können einem die Arbeitsbedingungen das Leben leichter oder schwerer machen. Wir neigen jedoch dazu, für unsere Unbehaglichkeiten Gründe zu finden, die nicht immer die Ursachen sind. Die Arbeitsbedingungen sind eine sehr beliebte Ausrede. Wenn die Bedingungen derart lebensfeindlich sind, dass man sich unter diesen Umständen selbst verliert, dann ist ohnehin guter Rat teuer.

Wann weiß man in diesem Strudel der Emotionen, dass man sich tatsächlich selbst verliert?
Bis zu diesem Punkt ist es immer wieder relativ weit. Ich erlebe an vielen Arbeitsplätzen ein kollektives Gejammer. Dabei muss man verstehen, was jammern bedeutet. Jammern ist in aller Regel ein Ausdruck von Selbstmitleid. Und Selbstmitleid ist einerseits ein großer Leidenszustand, den man allerdings selbst verursacht, obwohl er vermeintlich von anderen verursacht wird. Psychologisch gesehen ist Selbstmitleid die Möglichkeit, der Selbstverantwortung zu entgehen. Wir nehmen also mittels Selbstmitleid das selbst verursachte Leiden auf uns, um nur ja nicht Selbstverantwortung zu übernehmen.

Wir sind also unseres Glückes Schmied? Auch wenn der Chef nicht weiß, was er gerade seinem Mitarbeiter durch Geringschätzung und Ignoranz antut?
Weitestgehend schon. Die Art und Weise, wie wir unser Leben leben, ist weniger von Bedingungen abhängig, als wir vermuten. Das zeigt auch die psychologische Forschung. Optimisten leben einfach besser als Pessimisten, auch wenn sie denselben Lebensbedingungen ausgesetzt sind. Optimisten haben einen Blick für das Positive im Leben, während Pessimisten nur das Negative auffällt. Auf diese Weise vergiftet man sein Gemüt.

Aber viele Menschen vermitteln auch den Eindruck, dass sie überhaupt nicht gerne arbeiten.
Ja, den Eindruck vermitteln sie. Sie hanteln sich von Urlaub zu Urlaub, von Wochennde zu Wochenende. Der Montag ist ein Trauertag. Ich frage mich in diesem Zusammenhang immer, ob diese Menschen daheim wirklich mehr Spaß haben, mehr Freude empfinden, ein erfüllteres Leben finden. Geht es nicht vielmehr darum, dass man daheim den Eindruck hat, über sich selbst mehr bestimmen zu können als am Arbeitsplatz? Wie schaut die Realität aus? Viele sind heute in einem Freizeitstress und können sich keinesfalls daheim erholen. Sie beschuldigen ungerechterweise ihre Arbeit, für ihren Lebensstress verantwortlich zu sein.

Was verletzt uns so an der Arbeitslosigkeit?
Es wird deutlich, dass Arbeit eine wichtige Möglichkeit des Menschen ist, sich selbst zu verwirklichen, selbstwirksam zu sein. Arbeit ist eine wunderbare Option, sich als Teil der menschlichen Gemeinschaft zu fühlen, und trägt zu einem gesunden Selbstwertgefühl bei. Selbst bei Arbeitslosigkeit, die durch das Antreten der Regelpension eintritt, sind psychische Störungen nicht selten: Man spricht von Pensionsschock. Arbeit ist also etwas sehr Wertvolles in unserem Leben und es hat keinen Sinn, immer das zu wollen, was man gerade nicht hat. Wenn man arbeiten kann, wünscht man sich die Arbeit aus seinem Leben weg. Und wenn man nicht arbeiten kann, wünscht man sich die Arbeit in sein Leben herbei.

Wie kommt man zu einem befriedigenden Arbeits­leben?
Mir fällt immer der Philosoph Glasersfeld ein, der von seinen Eltern lobend spricht, weil sie ihn nie in dem unterstützt hätten, was er wollte, sondern immer in dem, was ihm Freude bereitete. Ein befriedigendes Arbeitsleben ist ein Arbeitsleben, in dem man auf dem Pfad der eigenen Freude wandelt und das macht, was man am besten kann. Dann kostet Arbeit auch kaum Energie.

Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Es ist nicht jedem gegeben, seinen Beruf zu finden und auszuüben.
In diesem Zusammenhang bin ich im Rahmen meiner psychotherapeutischen Arbeit auf etwas Verblüffendes gestoßen: Wenn man Menschen fragt, was sie als Jugendliche werden wollten, dann drückt sich sehr häufig der ursprüngliche Berufswunsch im jetzigen Job aus. Wenn man beispielsweise als Jugendlicher Pfarrer werden wollte und sich dann als Journalist wiederfindet, könnte es sein, dass man mit seinen Artikeln predigt. Das heißt aber nicht, dass alle Journalisten verkappte Pfarrer sind.

Was ist das Unbefriedigende am modernen Arbeitsleben?
Neben dem, dass wir es uns durch unseren Trübsinn oder durch unseren Perfektionismus selbst vermiesen, ist sicherlich die Tatsache, dass sich der Mensch als Objekt, als Produktionsfaktor empfinden muss, problematisch. Der Mensch erlebt sich häufig nicht als persönlich wahrgenommen und es fehlen auch selbst verantwortete kreative Räume. Professionalität wird zum Kampfwort, da halte ich es doch lieber mit dem Wort Amateur: Das heißt nämlich Liebhaber.

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