Frau Professor Draxl, Sie stehen derzeit an der Spitze einer internationalen Wissenschaftskooperation, bei der es um den besseren Austausch von Forschungsdaten geht. Liegt dieses Vorhaben nun auf Eis?
CLAUDIA DRAXL: Nein, aber wir stehen, wie der Forschungsbetrieb im Allgemeinen, vor großen Herausforderungen. Für Anfang Juni hatten wir eine große Konferenz geplant, zu der Chemiker, Physiker, Materialwissenschaftler und Datenwissenschaftler nach Berlin hätten kommen sollen. Das ist jetzt natürlich nicht möglich. Stattdessen veranstalten wir eine virtuelle Konferenz – etwas, das wir in dieser Größenordnung noch nie versucht haben. Mehrere Hundert Teilnehmer müssen miteinander in einer Videokonferenz interagieren können. Das wird sicher nicht einfach.

Sie arbeiten schon viele Jahre in einem internationalen Kontext, tauschen sich mit Kolleginnen und Kollegen auf der ganzen Welt aus. Sind Wissenschaftler nicht besser vorbereitet als andere, um virtuell zu kommunizieren?
Wir sind tatsächlich gewohnt, über Skype oder ähnliche Medien zu sprechen. So mache ich das jetzt auch mit meiner Berliner Arbeitsgruppe von zu Hause aus. Aber auf Dauer gesehen lässt sich der persönliche Kontakt durch nichts ersetzen.

Was bedeutet das für den Forschungsbetrieb, wie Sie ihn seit langer Zeit kennen?
Wir sind sicherlich eingeschränkt, keine Frage, aber bei Weitem nicht so sehr wie viele andere Bereiche der Wirtschaft. Was jetzt wirklich stillsteht, ist der experimentelle Sektor: Viele Labore wurden heruntergefahren und können nicht mehr für die Durchführung von Versuchen betreten werden. Das bedeutet auch für die Grundlagenforschung einen gewissen Einbruch, aber ich glaube, er ist verschmerzbar.

Weil es trotzdem genug für die Forschung zu tun gibt?
So ist es. Die Universitäten schaffen es, die technische Infrastruktur am Laufen zu halten, die es uns erlaubt, Daten zu generieren und damit zu arbeiten. Viele Kolleginnen und Kollegen können die Zeit jetzt nutzen, um sich ihren Publikationen zu widmen.

Sind Sie insofern als Materialwissenschaftlerin, die sich mit der Theorie der Festkörperphysik beschäftigt und viel mit Computersimulationen arbeitet, in einer komfortablen Situation?
Dank der tollen Leistungen der IT-Abteilung meiner Universität kann ich gut im Homeoffice weiterarbeiten. Meine Expertise liegt in der Entwicklung von Computerprogrammen, die Eigenschaften von Materialien berechnen können, noch bevor diese Materialien im Labor untersucht werden. Im nächsten Schritt kann die Materialwissenschaft mit diesen Programmen Materialien voraussagen, die noch nicht synthetisch hergestellt wurden. Bei all diesen Simulationen entsteht eine Unmenge an wissenschaftlichen Daten, die bislang kaum zu überschauen war. Mittels künstlicher Intelligenz wird es möglich, Wissen aus den Datensätzen herauszuholen, das uns bisher verborgen blieb. Genau darum geht es in den Projekten NOMAD und FairMAT.

Wie kann dieses neu erworbene Wissen der Materialforschung in der Praxis Anwendung finden?
In unserer Gesellschaft gibt es kaum einen Bereich, in dem Materialien nicht eine wesentliche Rolle spielen. Angefangen beim Energiesektor, der effizientere Photovoltaikzellen braucht, über den Umweltbereich, wo wir an besseren Katalysatoren arbeiten, bis hin zur Medizin, wo es ohne Materialforschung keine künstlichen Implantate gäbe. Das Potenzial des Feldes ist enorm.

Claudia Draxl
Claudia Draxl © KK