Hatten Sie schon früher etwas mit Gänsehaut zu tun?
JASON BLUM: Gar nichts. Ich bin Sohn der Kunstprofessorin Shirley und des Kunsthändlers Irving Blum. Mein Vater hat versucht, die Kunstwelt zu verändern, und zum Beispiel Andy Warhols erste große Show finanziert. Vielleicht möchte auch ich beweisen, dass man die Dinge verändern kann. Zum Beispiel in Hollywood.
Was nicht von heute auf morgen geht. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Karriere?
BLUM: Ich absolvierte ein Wirtschafts- und Filmstudium, dann geriet ich an die Brüder Weinstein und ihre Firma Miramax, für die ich Filmeinkäufer wurde. Auf Dauer frustrierte mich das. Mit solchen Arthouse-Filmen kriegt man in Amerika die Leute leider nicht ins Kino. In mir erwachte der Ehrgeiz, Dinge zu produzieren, die das Publikum sehen wollte. So gründete ich 2000 meine eigene Firma.
Der Glücksfall passierte Ihnen mit "Paranormal Activity".
BLUM: Ja, es ging um die Idee, dass ein junges Paar im eigenen Haus von einem Dämon verfolgt wird. Man sieht ihn nie, das Grauen wird nur durch Toneffekte erzeugt. Ich habe noch nie erlebt, dass verwackelte Videoeinstellungen so viel Schrecken produzieren konnten. Unser Budget betrug nur 15.000 Dollar, 200 Millionen haben wir weltweit eingespielt. Dazu kommen natürlich die Einkünfte aus TV- und DVD-Verwertung. Schnell erkannte ich, dass dieses Rezept das richtige war.
Wie kann man dieses Rezept beschreiben?
BLUM: Ich halte das Budget ganz niedrig, glaube an gute Storys, gute Regisseure, gute Schauspieler.
Wie rekrutieren Sie Schauspieler und Regisseure?
BLUM: Nach dem Film "Paranormal Activity" war alles leichter. Die Branche glaubte an mich. Ich biete Schauspielern gute Rollen, Regisseuren den sogenannten "final cut", den sie bei großen Konzernen nie kriegen. Ich zahle Kollektivvertragslöhne. Kinkerlitzchen wie Wohnwagen am Set gibt es nicht. Ich beteilige alle am Ergebnis. Nehmen Sie etwa meinen Freund Ethan Hawke, der in "The Purge" mitwirkt. Der kassierte am Ende doppelt so viel, wie er normalerweise für seine Filmrollen erhält. Ich setze auf Schauspieler, die von Groß-Hollywood weitgehend unterschätzt werden. Wie auch Jennifer Lopez, Rose Byrne.
Wie lief es bei "The Purge"?
BLUM: Ein Freund brachte mir das Drehbuch. Ich fragte, wie viel die Verfilmung seiner Meinung nach kosten sollte. Er sprach von acht Millionen Dollar. Ich sagte: Drei Millionen sind genug. Wir machten es. Mittlerweile sind rund 90 Millionen reingekommen.
"The Purge - Die Säuberung" ist nur vordergründig Horror. Hat die Story Ihrer Meinung nach wirklich auch einen tieferen Sinn?
BLUM: Die Geschichte spielt im Jahr 2022 in den USA. Um Kriminalitätsraten und Arbeitslosenzahlen niedrig zu halten, deklariert die Regierung jährlich eine Purge-Nacht, in der alle Verbrechen inklusive Mord legal sind.
Und wo liegt der tiefere Sinn?
BLUM: Ich nehme damit die US-Gesellschaft und ihren Waffenwahn aufs Korn, die Massaker an Schulen. Die Reaktionen geben mir recht, denn eine Story wie "The Purge" wird vom amerikanischen Publikum durchaus für realitätsnahe gehalten.
Die Devise lautet: Fortsetzung folgt. Ab 25. Juli ist sie da. Was unterscheidet "The Purge 2 - Anarchy" vom Vorgänger?
BLUM: Damals spielte die Geschichte fast ausschließlich in einem Haus, jetzt gehen wir nach draußen, auf die Straßen.
Haben Sie Angst davor, dass Ihr Karriererezept nachgeahmt wird?
BLUM: Es gibt für solche Erfolge kein Abonnement. "Twilight"-Regisseurin Catherine Hardwicke etwa hat es mit "Plush" versucht, mit einem Budget von zwei Millionen Dollar. Aber es flossen dann nur knapp mehr als drei in die Kassen.
Krisensicher ist niemand.
BLUM: Auch ich nicht, meinen Sie? Da haben Sie recht. Nehmen Sie den Giganten Jerry Bruckheimer und die große Pleite mit "The Lone Ranger", mit Mega-Budget. Ich kann nur hoffen, dass mein Lauf weitergeht, streue jetzt auch einmal eine - natürlich billige - Komödie dazwischen. Und ich bleibe fleißig. Ich habe neben diversen Kinofilmprojekten derzeit zwei TV-Serien auf den Bildschirmen und sieben in Vorbereitung.
Welche Horrorfilme erzeugen bei Ihnen Gänsehaut?
BLUM: "Freitag der 13" habe ich noch als Schulbub gesehen, da war ich sicher zu jung und hatte noch lange Angstattacken. Nachdem ich "Paranormal Activity" gesehen hatte, träumte ich wiederholt, jemand würde in mein Haus einbrechen. Diese Träume haben bis heute nicht aufgehört. Aber alles in allem war Halloween immer mein Lieblingsfest.
Haben Sie Vorbilder?
BLUM: Vor allem Alfred Hitchcock. Während des Studiums habe ich alle seine Filme gesehen.
Sie gelten als charmant, witzig, zuverlässig, man kann Ihnen also nichts Negatives nachsagen. Höchstens ein bisschen Verrücktheit.
BLUM: Meinen Sie, weil ich 25.000 Dollar ausgab, um einen alten Chevy Astro in ein mobiles Büro zu verwandeln? Also, das war eine ausgesprochen gute Investition, denn während ich von Termin zu Termin chauffiert werde, telefoniere ich, beantworte Mails und schaue mir auf Flat-Screens Filme an. Verliere also keine unnötige Zeit. Mein einziger Luxus in diesem Auto ist ein Polster für die Füße.
Haben Sie kein "normales" Büro?
BLUM: Seit eineinhalb Jahren gibt es nahe Downtown Los Angeles ein Hauptquartier. Ich habe nur 15 Angestellte, doch dauernd wimmelt es im Haus von kreativen Leuten. Auf dem Dach gibt es eine Partyzone mit einem Mazda Miata, den ich in einem früheren Film verwendet habe. Man kann ihn von allen Seiten sehen, er soll ein bisschen für Aufmerksamkeit sorgen. Das kann ja nicht schaden. Seit Neuestem setze ich auch auf Live-Entertainment - mit meinem Geisterhaus "The Purge: Fear Of The Night", das ich in L.A. eröffnet habe.
Was halten Sie von dem Tipp, den Ihnen Peter Schlessel von Focus Features, einem Zweig der Universal Pictures, fürs "Überleben" gab, man müsse bescheiden bleiben - und zugleich hungrig.
BLUM: Da liegt er absolut richtig - und braucht sich keine Sorgen zu machen.
INTERVIEW: LUIGI HEINRICH