Hinweis: Der Text ist in abgewandelter Form zunächst bei Futter, dem jungen Magazin der Kleinen Zeitung, erschienen. Futter ist inzwischen "Kleine Zeitung Next".

Als ihr Ehemann sie mit beiden Händen am Hals packte, nicht mehr loslassen wollte und die Luft zum Atmen langsam ausblieb, wusste Nila (Name geändert): "Wenn ich ihn nicht endgültig verlasse, werde ich sterben." Damals war das Gesicht der jungen Frau bereits mit blauen Flecken übersät. Es war der traurige Gipfel jahrelanger Gewalt, die Nila täglich erfahren hat. Durch die Hand ihres damaligen Ehemanns.

Eigentlich beginnt Nilas Geschichte, die sie nun mit der Öffentlichkeit teilen will, schon gut ein Jahrzehnt vor diesem Übergriff. Da verlobte sie sich mit einem Mann, den sie nie zuvor in ihrem Leben gesehen hatte. "Es war eine arrangierte Hochzeit", sagt Nila, die für ihren späteren Ehemann und heutigen Ex, ihre Heimat Indien verlassen hat und nach Kärnten gezogen ist. "Ich wollte es nicht wirklich. Aber meiner Familie zuliebe tat ich es. Sie waren glücklich darüber, aber ich wusste nicht, was richtig war." 

Arrangierte Ehe: "Er schlug mich ständig"

Angekommen in Kärnten, hatte Nila keinen Freundeskreis und auch mit der Sprache war sie anfangs nicht vertraut. Nach ihrem Umzug wurde sie bald schwanger. "Die ganze Familie wusste, dass es ein Bub wird, das war eine riesige Sache. Neun Monate lang behandelten sie mich wirklich gut", erzählt Nila, die damals 19 Jahre alt war. Zu dem Zeitpunkt wusste sie aber schon, dass ihr Ehemann Affären hatte und Drogen konsumierte. Etwas dagegen unternehmen konnte sie nicht: "Ich hatte keinen Kontakt zur Außenwelt, hatte kein Handy und keinen Internetzugang." Erst nach der Geburt des Kindes zeigte die Familie ihres damaligen Mannes ihr wahres Gesicht, wie Nila sagt. Zu dem Zeitpunkt begannen auch die Übergriffe.

Heute sie sich sicher: "Der Grund, warum seine Eltern sich so inhuman verhalten haben, ist die Mitgift. Es ging ihnen nicht um die Hochzeit oder um mich. Sie waren nur darauf aus." Denn in streng konservativen Kreisen ihrer Kultur sei es üblich, dass die Familie der Braut jener des Bräutigams eine hohe Summe Geld überweist. Im Fall von Nila waren es neben den Kosten für eine pompöse Hochzeit noch Goldschmuck. "Und dann wollten sie noch mehr Gold und ein Auto", sagt sie.

"Eingeschritten ist niemand"

Es folgte ein jahrelanges Martyrium. "Mein damaliger Mann schlug mich ständig, auch vor seiner Familie und seinen Freunden", erinnert sich Nila zurück. Eingeschritten ist niemand. Die Gewaltakte wurden einfach so hingenommen. Nila konnte sich keiner Seele anvertrauen. Erst drei Jahre nach ihrer Ankunft in Kärnten hatte sie erstmals die Gelegenheit, ihrer Familie in Indien von der verbalen und körperlichen Gewalt; von den Beleidigungen, Erniedrigungen und Schlägen zu erzählen. "Ich sammelte so viel Kleingeld wie ich finden konnte, lief aus dem Haus und fragte einen Mann bei einer Tankstelle, ob ich sein Handy benutzen kann", erinnert sie sich zurück. "Er gab mir sein Handy, nahm aber das Geld nicht an, weil er sah, dass ich in einem miserablen Zustand war."

Auf die Schläge folgte meist die große Reue, Nilas damaliger Mann entschuldigte sich tränenreich. "Er sagte immer, er würde sich ändern und bat mich um Verzeihung", sagt die junge Frau, die ihm anfangs noch Glauben schenkte. "Aber es hat sich nie etwas geändert." Auch wenn Nilas Vater mit ihren Schwiegereltern in Streit geriet, versprachen sie immer Veränderungen, die schlussendlich ausblieben.

Aufenthalt im Frauenhaus

Neben der regelmäßigen Gewalt musste Nila auch den gesamten Haushalt bewältigen, täglich für die ganze Familie kochen. Die Nächte verbrachte sie nicht selten damit, zu lernen. Denn sie hatte ein großes Ziel, das ihr schließlich auch gelingen sollte: Ihre akademische Ausbildung abzuschließen. Ihr damaliger Ehemann geriet indes auf die schiefe Bahn und verlor dadurch seine Arbeit. Die Übergriffe wurden immer brutaler. Nila: "Er hat gemerkt, dass er machen kann was er will und mit ein paar Tränen im Nachhinein und dem Herunterspielen der Gewalttaten hat er mein Denken kontrolliert." Bis zu jenem brutalen Übergriff, bei dem er sie fast zu Tode würgte. Danach fasste Nila schließlich den Entschluss, ihn zu verlassen. Mit ihrem Sohn zog sie einen Monat lang ins Frauenhaus Klagenfurt.

Sie ist nicht die Einzige, die dort Zuflucht gefunden hat. "In den vergangenen zehn Jahren (Anmerkung: Stand 2021) fanden durchschnittlich 63 Frauen und 62 Kinder jährlich eine geschützte Unterkunft und Hilfe im Frauenhaus", sagt Ingrid Schwarzenbacher, damals Geschäftsführerin des Frauenhaus Klagenfurt. "Die Frauen, die sich ans Frauenhaus wenden, erleben Gewalt in ihrem nahen sozialen Umfeld." Das können etwa Lebensgefährten, Ehepartner oder der Ex sein. Vereinzelt suchen laut einer Betreuerin auch Betroffene das Frauenhaus auf, die seitens der Eltern oder Kinder Gewalt erfahren. Immer wieder erzählen Betroffene auch von arrangierten Ehen, so wie es bei Nila der Fall war. Statistiken zu arrangierten Ehen werden nicht geführt. Aber neben ihnen sind auch Zwangsehen immer wieder Thema: "In den vergangenen fünf Jahren suchten im Frauenhaus Klagenfurt drei Frauen Schutz, bei denen eine Zwangsehe vollzogen wurde, zwei Frauen flohen vor einer angedrohten Zwangsehe."

Anmerkung: Inzwischen ist Petra Erian die Leiterin und es werden auch Statistiken zum Thema arrangierte Ehen beziehungsweise Zwangsehen geführt.

Bei einer Zwangsehe müssen Menschen gegen ihren Willen heiraten. Eine arrangierte Ehe hingegen wird im Regelfall von Familienmitgliedern veranlasst - aber unter Einverständnis des Ehepartners und der Ehepartnerin. So zumindest die Theorie. Hinzu kommt der soziale Druck und die Frage, welche Konsequenzen es geben würde, sollte man einer arrangierten Ehe nicht zustimmen.

Übergriffe dokumentiert

Leicht fiel Nila der Entschluss, ihren Mann zu verlassen, nicht. Sie wusste, dass er Unwahrheiten über sie verbreiten, sie als Bösewichtin darstellen würde: "Schon in der Vergangenheit hat er immer wieder gesagt: ,Falls du jemals flüchtest oder mich verlässt, erzähle ich allen, dass du eine Affäre hast und mit deinem Liebhaber durchgebrannt bist!'"

Kurz nach ihrem Aufenthalt im Frauenhaus gab sie ihm noch eine letzte Chance. Große Änderungen blieben aus, bald kehrte der brutale Alltag zurück: "Da wusste ich, dass ich hier keine Zukunft habe." Die Übergriffe hatte sie in der Zwischenzeit regelmäßig dokumentiert, etwa indem sie E-Mails an sich selbst schrieb. Nach einem weiteren Aufenthalt im Frauenhaus - ihr Noch-Ehemann bombardierte sie mit Nachrichten, Anrufen und E-Mails - entschloss sie sich, Österreich zu verlassen, denn "er war immer da" übte Cybergewalt aus. Ihren Sohn musste sie zurücklassen - wohl die schwerste Entscheidung ihres Lebens. Bis heute reagiert er nicht auf Anrufe seiner Mutter. Gleichzeitig war ihr Sohn auch einer der Gründe, warum Nila sich schlussendlich wehrte: "Ich wollte ihm kein falsches Beispiel liefern. Ich wollte nicht, dass er denkt, dass man Frauen so behandeln kann; dass das alles in Ordnung und normal ist."

Vor Gericht

Der nächste Schlag kam aber, als ihr Noch-Ehemann aufgrund der Anzeige vor Gericht landete. Trotz der jahrelangen Misshandlung bekam er nur eine Geldstrafe. "Eine Haftstrafe sah das Gericht als nicht erforderlich", konnte man später in der Zeitung lesen. Nila wartete damals vor dem Gerichtssaal, musste nicht einmal aussagen. "Als ich ihn vor Gericht sah, war er die gleiche Person, die ich das letzte Mal gesehen hatte. Er hatte sich nicht verändert." Das Urteil war für sie unfassbar, die Entscheidung ihn anzuzeigen dennoch die absolut richtige.

Eine Geldstrafe. Keine Haft. Das ist für viele unverständlich. "Aber er ist verurteilt worden und es wurde ihr geglaubt", sagt Roswitha Bucher, Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums in Klagenfurt. Vor Gericht zu ziehen war der richtige Schritt. "Denn wie würde die Alternative aussehen?", sagt Bucher, die Frauen in ähnlichen Situationen ganz klar ermutigt. "Noch schlimmer wäre ein Freispruch, oder, dass er gar ohne Gerichtsverhandlung davonkommt." Und sollte es jemals ein weiteres Opfer geben, wirkt sich diese Vorstrafe natürlich darauf aus. Das Gewaltschutzzentrum bietet unter anderem Prozessbegleitung an. Denn ein Gerichtsverfahren zu durchlaufen, kann eine große Herausforderung sein. Aber es sei absolut wichtig und für jede Frau empfehlenswert, die sich in einer ähnlichen Lage wie Nila befindet. Bucher: "Gericht schafft nicht immer Gerechtigkeit, aber es ist schon wichtig zu sehen, dass dem Opfer geglaubt wird und der Fall ernst genommen wird. Deshalb gilt auch mein Appell an alle Betroffenen, Anzeigen vorzubereiten und sich an das Gewaltschutzzentrum zu wenden."

Darf sich nicht mehr nähern

Heute lebt Nila nicht mehr in Kärnten. Eine Zeit lang hatte ihr Ex dennoch versucht, sie zu kontrollieren, wollte stets wissen, wo sie war und setzte dabei auch technische Mittel ein. Inzwischen darf er sich ihr nicht mehr nähern. Nach Österreich wird sie wohl nicht zurückkommen, doch sie wünscht sich sehnlichst, wieder Kontakt zu ihrem Sohn zu bekommen. "Ob das möglich sein wird, weiß ich nicht", sagt Nila. Ihre Erfahrungen will sie auch in Form eines Buches niederschreiben. An Frauen in ähnlichen Situationen appelliert sie: "Akzeptiert die Gewalt nicht. Wenn dich eine Person einmal schlägt, wird sie es wieder tun. Sie wird sich nicht verändern."