Es gibt nur wenige Opfer von Liebesbetrügern, die ihre tiefgreifenden Erfahrungen nicht anonymisiert öffentlich machen. Sie tun es. Warum?

NICOLE FLURY: Die Betroffenen schämen sich dermassen darüber zu sprechen, dass das Thema nur schwer angegangen werden kann. Es ist ein Tabu. Ich möchte das ändern. Ich will Opfern - Frauen und Männern -  helfen, in ihr Leben zurückzufinden, schnell aus ihrem Schmerz rauszukommen, hin zu einem selbstbestimmten, authentischen Leben. Und andere davor bewahren, dass ihnen so etwas überhaupt passiert. Keine Frau und kein Mann ist davor gefeit.

Wie sind Sie in die Liebesfalle getappt?
Ich habe sein Profil auf einer Dating-App gesehen. Gutaussehend, verwitwet, eine Tochter, Amerikaner mit Wohnung in New York und Frankreich. So einen Mann habe ich mir in meinen Träumen immer vorgestellt. Ich war hin und weg und habe ihn gelikt. Er hat zurückgelikt. Ich bin schon länger Single, es war Herbst und die Kontakte wegen Corona eingeschränkt. Die Situation hat gepasst.

Wie hat es ihr "Traummann" geschafft, trotz der Distanz Vertrauen aufzubauen?
Er hat mich wochenlang in einer sanften und fürsorglichen Weise umgarnt und ein sehr enges Vertrauensverhältnis mit mir aufgebaut. Er hat mir das Gefühl gegeben, ich bin der Mittelpunkt seines Lebens. Er war so charmant und immer für mich erreichbar. Wir kommunizierten über WhatsApp, telefonierten mehrmals täglich und es gab sogar Videocalls. Heute weiß ich, dass auch diese gefakt waren. Er hat mir meine Traumwelt zu Füßen gelegt.

Die Betrüger haben nur ein Ziel: das Geld ihrer Opfer. Wann haben Sie das erste Mal gezahlt?
Er musste geschäftlich angeblich nach Afrika reisen. Dort funktionierte seine Bankkarte plötzlich nicht mehr. Vorher hat er immer gesagt, er würde nie eine Frau um Geld fragen. Aber jetzt würde er sich in einer Notlage befinden. Ich wusste sofort, es ist nicht gut, ihm Geld zu geben.

Warum taten sie es trotzdem?
Die Gefühle waren schon zu tief und meine Schuldgefühle zu groß, wenn ich ihm nicht aus seiner Notlage heraushelfen und ihm Geld geben würde.

War es das einzige Mal, dass sie Geld überwiesen haben?
Nein. Man kann sich nicht vorstellen, was für Geschichten kommen. Einmal war es ein Überfall, ein anderes Mal eine Operation. Es ist immer etwas passiert. So ging es über Wochen. Ein unglaublicher Psychoterror. Ich wusste intuitiv, es ist nicht gut, zu zahlen. Aber dieser unglaublich starke Sog von Verliebtheit, von Anerkennung und Aufmerksamkeit, die einem entgegengebracht wird, sowie von Schuldgefühlen die einem plagen wenn man nicht zahlt, bringen einem dazu, es trotz allen Zweifeln doch zu tun.


Haben Sie sich nicht Freunden anvertraut?
Jein. Sie haben den Betrug sehr schnell gewittert und mich darauf aufmerksam gemacht. Ich war aber in einer anderen Blase unterwegs und wollte davon nichts hören. Ich war sauer und hatte eher das Gefühl, sie würden mir meinen Traummann nicht gönnen.

Wann sind auch bei Ihnen Zweifel aufgetaucht?
Es war der Moment, als ich mir von seinem Konto mein Geld zurücküberweisen sollte. Da gab es Differenzen mit der Bank und mir sind in der Korrespondenz Ungereimtheiten aufgefallen. Ich habe ihn daraufhin blockiert und Anzeige bei der Polizei erstattet. Dabei ging es mir um meine eigene Sicherheit. Aus diesem Grund empfehle ich jedem Opfer, Anzeige bei der Polizei zu erstatten, auch wenn es kein einfacher Schritt ist, über das Geschehene gerade mit der Polizei, zu sprechen.

Wie geht es Ihnen jetzt damit?
Ich gebe mir keine Schuld. Es ist eine Zeit emotionaler Grausamkeit gewesen. Jetzt blicke ich, mit einer für mich sehr wertvollen Erfahrung reicher, nach vorne. Meine eigenen Erfahrungen mit Romance Scam sollen jetzt anderen helfen. Denn es gibt Wege - sehr schöne Glitzerwege - raus aus der Sackgasse. Wir wollen doch alle dasselbe: Einen echten Traumpartner finden.