Die braune Ratte scharrt aufgeregt mit den Vorderpfoten in der Erde. Das ist das Zeichen für ihren Betreuer die Bananen-Erdnuss-Paste bereitzuhalten. Und für den Sprengstoff-Experten seinen Job aufzunehmen.  Afrikanische Riesenhamsterratten sind nachtaktiv und nahezu blind. Dafür haben sie einen ausgezeichneten Geruchssinn. Den macht sich eine belgische NGO (Nichtregierungsorganisation) mit Sitz in Tansania zunutze: Apopo trainiert Ratten, um weltweit von Minen verseuchte Gebiete wieder bewohnbar zu machen.

Landminen haben verheerende Auswirkungen. Ein Großteil der Menschen, die von Landminen verstümmelt oder getötet werden, sind Zivilisten, viele davon Kinder. Sie blockieren die wirtschaftliche Entwicklung ganzer Regionen, landwirtschaftliche Flächen werden aus Angst nicht genutzt. Auch humanitäre Hilfseinsätze werden erschwert oder verhindert. In mehr als 50 Ländern weltweit (auch in Europa) sind immer noch Landminen zu finden.  

Wieder mehr Opfer

Nachdem seit Ende der 1990er Jahre mit dem Abschluss eines internationalen Abkommens zum Minenverbot die Zahlen von Landminenopfern kontinuierlich gefallen waren, wurde in den letzten Jahren wieder ein Anstieg verzeichnet. Bewaffnete Verbände und paramilitärische Organisationen setzen teilweise selbst hergestellte Sprengfallen ein. Familien, die nachdem der IS aus der Stadt vertrieben wurde, zurück nach Raqqa in Syrien kehrten, fanden ihre Dörfer und Häuser vermint vor, berichtete das Internationale Rote Kreuz. Trotz dieses Anstiegs sei die finanzielle Unterstützung für die Minenentschärfung in den letzten Jahren zurückgegangen, erzählt Erik Tollefsen vom Roten Kreuz.


Die Landmine, die die Ratte durch ihr Scharren markiert hat, wird gesprengt - das Tier bekommt seine verdiente Belohnung. Laut Apopo wurden auf diese Weise schon über 100.000 Landminen entschärft. Ratten haben Vorteile gegenüber traditionellen Methoden: Sie sind zu leicht, um Minen auszulösen, einfacher in Einsatzgebiete zu transportieren als Hunde und schneller als Metalldetektoren: In zwei Stunden können Ratten ein Gebiet durchsuchen, für das Menschen Tage bräuchten. Denn sie sprechen, anders als Metalldetektoren, ausschließlich auf Sprengstoff an. Außerdem sie sind günstig - Ratten arbeiten für Bananen.

Die Geschichte eines kleinen Helden:


Die Idee, Ratten als Sprengstoffschnüffler einzusetzen, geht auf Bart Weetjens zurück. Der in Belgien geborene Zen-Buddhist und Gründer von Apopo beschäftigt sich mit Ratten, seit er ein Kind war. Er züchtete die Nagetiere in seinem Kinderzimmer, um sie später an Zoos in Antwerpen zu verkaufen und sein Taschengeld aufzubessern. Durch Zufall stieß Weetjens Jahre später auf eine Studie, die beschrieb, wie Wüstenrennmäuse dazu gebracht wurden, Sprengstoff zu erschnüffeln.

Vor 20 Jahren begann Wettjens schließlich, in Zusammenarbeit mit der Sokoine-Universität in Morogoro in Tansania eine Armee von Riesenhamsterratten zu trainieren. Das Training dauert sechs bis neun Monate und die Regeln sind streng: Nur Ratten, die eine hundertprozentige Erfolgsquote bei der Minenräumung erreichen, werden eingesetzt. Manche Tiere sind besser dafür geeignet als andere. 

Christophe Cox,  CEO und Mitbegründer von Apopo, erzählt: "Wir haben sehr hohe Standards im Umgang mit den Tieren. Sie sind sehr kostbar für uns, denn es dauert,  bis sie trainiert sind. Wir behandeln die Tiere wie Helden, die sie ja sind."

Bart Weetjens in einem TED-Talk:


Das merkt man auch im liebevollen Umgang der Betreuer und Trainer mit ihren kleinen Schützlingen, sie betrachten die Tiere als Freunde, als Teil der Familie. “Es ist sehr wichtig, dass die Ratten lernen, dass Menschen ihre Freunde sind”, erklärt Weetjens.

Bereits mit vier Wochen werden die Tiere “sozialisiert”. Sie werden auch langsam an Gerüche und Geräusche gewöhnt. Mit sechs Wochen beginnt das eigentliche Training mit der Methode der klassischen Konditionierung. Dabei wird ausschließlich mit Belohnungen gearbeitet. Die kleinen Ratten lernen ein akustisches Signal mit einer wohlschmeckenden Belohnung zu verbinden. Dann wird der akustische Reiz mit dem gewünschten Geruch verbunden (im Falle der Minensuchratten mit TNT).

Für das Absuchen großer Flächen bekommt die Ratte ein Geschirr umgehängt, welches an einer Laufleine befestigt ist. Die Laufleine wird zwischen zwei Trainern gespannt, die am Rand des Minenfelds stehen. An dieser Linie schnüffelt die Ratte den Boden ab. Findet eine Ratte Sprengstoff, zeigt sie dies durch Scharren am Boden an. Daraufhin bekommt sie ihre Belohnung. Ist sie satt, sammelt sie die weiteren Leckerbissen in ihren Beutelbacken. 


Fidelis Ghally arbeitet  seit sieben Jahren für Apopo und koordiniert das Training in Tansania: “Als ich angefangen habe, hatte ich Angst vor den Ratten. Ich wusste nicht, ob ich es schaffen würde mit ihnen zu arbeiten”. Das habe sich rasch geändert: “Nun sind sie meine Freunde”, sagt Ghally. Das zeigt, welchen Sinneswandel die kleinen Helden bereits angestoßen haben: In Tansania ist Ratte am Spieß ein beliebter Streetfood-Snack. Dass sie aber viel mehr als eine nahrhafte Mahlzeit sind, haben sie bereits eindrücklich bewiesen.  

Fidelis, Apopo und die Hero-Rats:

Landminen zu erschnüffeln, ist aber nicht das einzige Einsatzgebiet für Apopos Ratten: Die Tiere retten auch Leben, indem sie den Ausbruch einer der tödlichsten Infektionskrankheit der Welt verhindern. Pro Jahr sterben mehr als 1,5 Millionen Menschen an Tuberkulose, mehr als an HIV/Aids und Malaria zusammen. TB-Infektionen sind hochansteckend und schwer zu erkennen.  Eine schnelle Diagnose ist wichtig, um die Ausbreitung zu verhindern. In Kliniken in Tansania, Mosambik und Äthiopien werden nun Apopo-Ratten eingesetzt, um Infektionen zu erschnüffeln. Infizierte können dadurch behandelt werden, bevor sie die Krankheit weiter übertragen. Auch hier zeigen Ratten, dass sie  traditioneller Technologie überlegen sind. Sie haben die Trefferquote beim Erkennen von TB-Infektionen um 40 Prozent erhöht.

Für Bart Weetjens ist das noch lange nicht genug - er ist auf der Suche nach weiteren Einsatzgebieten für seine kleinen Superhelden.