Noch sind die Schäden an Ahr, Ache und Salzach nicht beseitigt, beginnen schon die Debatten um den Wiederaufbau. Schwammstadt heißt ein Konzept, das bei Starkregen Wasser in unterirdischen Kavernen und unversiegelten Flächen speichert, um es in Zeiten extremer Dürre wieder abzugeben. Ein Beispiel aus Berlin.

Etwas versteckt liegt die neue Unterkunft für Geflüchtete in der Berliner Chris-Gueffroy-Allee. Vom Zentrum der Stadt führt der Weg entlang der Spree hinaus Richtung Osten, quer durch den Treptower Park, ein Stück auf dem Mauerweg entlang, dann – unweit des kurzen Endes der Sonnenallee – grüßen im Sonnenlicht ein Dutzend Häuser. Die Dächer sind begrünt, an den offenen Treppenhäusern ranken sich Kletterpflanzen nach oben, zwischen Rasensteinen blitzt das Grün und neben der steinernen Sitzgruppe fallen die Grassoden zu einer Regenmulde ab. Hier im Berliner Südosten gilt: Wasser stopp! Von der Siedlung geht kein Regenwasser über die Kanalisation verloren, alles versickert vor Ort oder wird von Pflanzen zwischengespeichert. Bei Trockenheit wird das Wasser wieder abgebeben – wie bei einem Schwamm. Von Schwammstadt sprechen deshalb Experten.

„Das Konzept der Schwammstadt setzt darauf, Regenwasser an Ort und Stelle zu binden und den natürlichen Wasserhaushalt zu stärken, etwa durch Dachbegrünung, Versickerungsanlagen, Zisternen oder auch künstliche Gewässer", erklärt Darla Nickel. Die promovierte Ingenieurin leitet die Berliner Regenwasseragentur. Vor zwei Jahren haben das Land Berlin und die Berliner Wasserbetriebe (BWB) die Agentur ins Leben gerufen. Ziel: Planer, Investoren sowie Behörden zu beraten und die Schwammstadt-Idee in der Hauptstadt umzusetzen. „Positiver Nebeneffekt: Die Stadt wird grüner, schöner und das Mikroklima verbessert sich", sagt Nickel.

Idee aus Asien

Die Ursprünge der Idee liegen in Asien. Um Extremwetterereignisse mit starken Regenfällen zu meistern, entdeckten Stadtplaner zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts plötzlich Grün als Rettung für die Stadt. Flächen wurden entsiegelt, Dächer begrünt, Rückhaltebecken und Versickerungsmöglichkeiten geschaffen – so wie später in der Berliner Siedlung in der Gueffroy-Allee. „Das Schwammstadt-Konzept dort in Treptow hält einem Jahrhundertereignis stand, sprich: einem Starkregen, der statistisch gesehen nur alle hundert Jahre auftritt", erläutert Ingenieurin Nickel.

Starkregen wie jetzt an Ahr, Erft, Ache und Salzach lenken den Blick auf vorausschauenden Hochwasserschutz. Berlin hat dabei mit sehr eigenen Problemen zu kämpfen. Das weitverzweigte Flusssystems des Spreewalds im Osten vor den Toren der Stadt wirkt wie ein Wasserpuffer und gleicht den Pegel der Spree aus.

Die Stadt plagen andere Sorgen: zu wenig Regen. „Berlin ist einer der trockensten Orte in Deutschland. Und diese Tendenz nimmt mit dem Klimawandel noch zu", sagt Nickel und ergänzt: „Der Hauptpunkt, den wir in Berlin gesehen haben, waren aber zu Beginn weniger innerstädtische Überflutungen als die zu hohe Mischwasserentlastung, sprich, dass die Abwässer gemischt mit Regenwasser bei Extremereignissen ungereinigt in Spree oder Landwehrkanal fließen."

Vor vier Jahren zum Beispiel öffnete der Himmel im Juni seine Schleusen über Berlin. Innerhalb von 18 Stunden prasselte so viel Regen nieder wie sonst innerhalb von drei Monaten. Von Starkregen sprechen Meteorologen oder auch Extremwetter, die sich in den vergangenen Jahren immer häufiger beobachten lassen. Gravierende Folgen sind  Überschwemmungen wie die Elbflut 2002, das Main-Hochwasser 2011, jetzt traf es die Städte an den Zuflüssen von Mosel, Rhein und Ruhr in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Von den zehn wärmsten Sommern seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1881 ereigneten sich sechs in diesem Jahrhundert.

Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) der UN warnte, Jahr 2020 könnte zum in Europa zum wärmsten Jahr seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen werden. Bis Oktober lag die durchschnittliche Temperatur um bis zu 1,23 Grad über dem mittleren Durchschnitt, so WMO.

„Alle Anzeichen zeigen in die Richtung, dass wir aufgrund der zunehmenden Wärme künftig noch häufiger mit Starkregenereignissen zu tun haben: Warme Luft speichert einfach mehr Wasser", erläutert Nickel.

An Rhein, Main und Donau rüsten sie auf

Berlin geht einen anderen Weg: Schwammstadt. Im Jahr 2016 fand die Idee Eingang in den rot-rot-grünen Koalitionsvertrag, zwei Jahre später kam die Gründung von Nickels Regenwasseragentur. In diesem Jahr folgte die Charta zum Berliner Stadtgrün. Berlin soll schwammiger werden. Riesige unterirdische Kavernen als Auffangbecken wurden gebaut.

Alle neuen Bauvorhaben werden auf das Schwammstadt-Konzept ausgerichtet. Ob Neubau oder Sanierung, bei einer Baufläche darf nicht mehr Regenwasser abfließen als vor den Baumaßnahmen, Einleitungsbegrenzung nennen das Experten.

Zudem hat die Stadt ein Gründach-Programm gestartet und sich darüber hinaus ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Jährlich soll ein Prozent bereits versiegelter Flächen von der Kanalisation abgekoppelt werden, das Regenwasser versickert vor Ort. „Nachhaltiges Regenwassermanagement ist zentral für die Zukunftsfähigkeit der Stadt und ein wichtiger Beitrag zur Klimafolgenanpassung. Denn Regen, der vor Ort versickert und verdunstet macht die Stadt kühler, grüner und lebenswerter", sagt Berlins Umweltsenatorin Regine Günther (Grüne).

Die Schwammstadt kommt dabei nicht unbedingt spektakulär daher. Es sind viele kleine Maßnahmen, die Saugkraft entwickeln. Mal ist eine Unterkunft für Geflüchtete wie in Treptow, mal sind es begrünte Regenmulden entlang der Straßen wie in Adlershof.

In der Rummelsburger Bucht im Berliner Osten ist ein komplettes Neubaugebiet fast komplett von der Kanalisation abgeklemmt und am Breitscheidplatz im alten Westen blüht es nach der Sanierung des Bikini-Hauses jetzt auf dem Dach in Grün. „Wir bauen die dezentrale Regenwasserbewirtschaftung aus, bei der Gestaltung von Neubauquartieren ebenso wie mit dem Förderprogramm für Gründächer auf bestehenden Gebäuden. So ist Berlin besser gegen Starkregen und Hitzewellen gewappnet", erklärt Senatorin Günther.

„Es braucht klare politische Vorgaben", fasst Darla Nickel die Erfahrungen aus ihrer Arbeit zusammen und fügt hinzu: „Das bedeutet aber auch: Es bedarf einer intensiven Beratung der Bauträger. Das Schwammstadt-Konzept lässt sich nicht gegen, sondern nur mit den Investoren umsetzen."

Längst setzen auch andere Kommunen auf den Schwamm als Idee. Amsterdam wird von Experten wegen seines vorbildlichen Dialogs mit Planern und Investoren gelobt, in Kopenhagen und Hamburg wird die Flut an Daten detailliert aufbereitet. Aber Schwammstadt geht auch im Kleinen: In der Emscherregion in Nordrhein-Westfalen sollen innerhalb von 15 Jahren 15 Prozent des Regenwassers von der Kanalisation abgekoppelt werden. Darla Nickel sagt: „Das Schwammstadt-Konzept ist nicht nur etwas für große Kommunen, mit Blick auf zunehmende Extremwetterlagen geht uns das alle an."