Der Mann gab sich stets unbeeindruckt. Wann er das letzte Mal Angst gehabt habe, wollte ein Freund von Peter R. de Vries wissen. „Ganz ehrlich? Als ich mit meinem Schulzeugnis heimgekommen bin“, war die lapidare Antwort.

Furcht ist nicht die Sache des bekanntesten Kriminalreporters der Niederlande, Peter R. de Vries. Wobei es die Bezeichnung Reporter nicht ganz trifft. De Vries ist tatsächlich ein Fahnder - mit eigener TV-Sendung.

Eigenhändig spürte er in Südamerika Hintermänner der Entführung des Brauereikönigs Freddy Heineken auf, die Überführung des Mörders der US-Collegeschülerin Natalee Holloway brachte ihm gar einen „Emmy“ ein.

De Vries legte sich mit jedem an. Das machte ihn für viele in den Niederlanden zum letzten Mann von Recht und Ordnung. Für andere war der Privatfahnder schlicht lästig. Am Dienstagabend wurde De Vries in Amsterdam auf offener Straße niedergeschossen. Fünf Kugeln trafen ihn, auch im Kopf. De Vries ringt um sein Leben.

Zwar wurden unmittelbar nach der Tat drei Verdächtige festgenommen. Doch geht es bei dem Attentat um mehr als um einen Kriminalfall. Der niederländische König Willem-Alexander sprach bei seinem Staatsbesuch in Berlin von einem „Anschlag auf den Rechtsstaat“, Premier Mark Rutte sah ein „Attentat auf die freie Presse“ und Amsterdams Bürgermeisterin Femke Halsema nannte die Tat ein „brutales, feiges Verbrechen“.

Vom Polizeireporter zum Ermittler

Freunde hatte sich de Vries mit seiner Arbeit wenige gemacht. Mit Anfang dreißig gab er seinen Job als Polizeireporter beim Boulevardblatt „De Telegraaf“ auf, machte sich zunächst mit einem Crime-Magazin einen Namen, um später eine eigene Kriminalsendung  im Fernsehen zu starten: „Peter R. de Vries, misdaadsverslaggever“ – Peter R. de Vries, Polizeireporter.

Die Sendung hatte Ähnlichkeiten mit dem deutschsprachigen TV-Format „Aktenzeichen xy ungelöst“. Wobei Vries sich selbst auf die Suche machte. Mitunter mit zweifelhaften Mitteln. Das Verschwinden der US-Schülerin Natalee Holloway auf der niederländischen Antilleninsel Aruba klärte er 2008 mit einem verdeckten Ermittler auf. Der gab dem Verdächtigen zunächst einen Joint zur Entspannung und entlockte ihm dann ein Geständnis – alles aufgezeichnet auf Band. Sieben Millionen Zuschauer mochten das im niederländischen Fernsehen sehen, eine Tour durch US-Shows folgte. Vries erhielt die Schlagezeilen und einen Emmy.

De Vries handelte, wo der Staat scheinbar nur zuschaute. Das kam an in einem Land, dessen Justiz von vielen als zu nachgiebig angesehen wird.

Opportunitätsprinzip heißt die juristische Formel, wonach niederländische Ermittler kleinere Vergehen auch ohne Verfahren einstellen können. Die Justiz soll das entlasten, bei den Opfern von Kleindelikten sorgt dies für gewaltigen Unmut. Ist die erste Aufgabe des modernen Staates nicht auch schon in den Schriften von Thomas Hobbes schon Sicherheit? In den Niederlanden führte das zu Beginn des Jahrhunderts zu einer heftigen Debatte. Der Rechtspopulist Pim Fortuyn entdeckte das Thema innere Sicherheit und auch de Vries kokettierte damals mit der Politik. Ernsthaft eingestiegen ist er aber nie.

Lange Liste der Erfolge

Die Liste seiner Erfolge war ohnehin zu lang. Seine Recherchen rund um die Heineken-Entführung brachte de Vries 1987 in einem Buch heraus, das Hollywood verfilmte. Heineken-Entführer Frans Meijer spürte er 1994 in Paraguay auf. Mit dessen Komplizen Cor van Hout verband ihn später eine Freundschaft. Nach dessen gewaltsamen Tod 2003 gab de Vries eine Todesanzeige auf, „Das Verbrechen führte uns zusammen, das Verbrechen hat uns getrennt“. Nicht alle waren davon begeistert.

Zum Leidwesen auch der Königsfamilie. Die Verbindung der angehenden Prinzen-Gemahlin Mabel Wisse Smit mit einem stadtbekannten Kriminellen brachte 2003 De Vries ans Licht. Der Palast war nicht erfreut, geheiratet wurde dennoch.

Seine Sendung gab De Vries vor neun Jahren auf, der Verbrecherjagd blieb er treu. Zuletzt beschäftigte er sich mit dem Marengo-Prozess, einem Mammutverfahren gegen mehr als zehn Beschuldigte eines Amsterdamer Drogenkartells. De Vries hatte Kontakt zum Kronzeugen des Verfahrens.

Spätestens als dessen Anwalt vor zwei Jahren hingerichtet worden war, galt auch De Vries als gefährdet. „Er ist ein nationaler Held“, sagte Amsterdams Bürgermeisterin Halsema nach dem Anschlag. De Vries kämpft im Krankenhaus weiter um sein Leben. Die Debatte über die innere Sicherheit in den Niederlanden hat erst begonnen.