Was Ingenieurs- und Navigationskünste angeht, hat Italien zuletzt keine positiven Schlagzeilen gemacht. Der Brückeneinsturz 2020 in Genua oder die Havarie der Costa Concordia 2012 vor der Insel Giglio sind noch in Erinnerung. In Vergessenheit geraten angesichts dieser Katastrophen auch die bedeutenden Momente, in denen Schlimmeres verhindert wurde. Ein solcher Moment war die Rettung des schiefen Turms von Pisa. Vor 20 Jahren wurde er vor dem Einsturz gerettet.

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Es war am 16. Juni 2001, als Italien die Rettung eines seiner Wahrzeichen, das zum Weltkulturerbe der Unesco zählt, in großen Stil feierte. Symbolisch wurde der Schlüssel für die Wiedereröffnung übergeben, der Turm, den die Italiener „Torre pendente di Pisa“ nennen, war zuvor mehr als elf Jahre geschlossen. Gegeben wurde Giuseppe Verdis Requiem, eine Messe für den wiederauferstandenen Turm. 1990 hatten die Behörden in der Toskana die Schließung des Turmes verfügt, wegen Einsturzgefahr. Jahrelang durfte niemand die 273 Stufen hinaufsteigen. Erst 2001, nach dem viel beachteten Sanierungsprojekt einer internationalen Expertenkommission, wurde der Turm wieder geöffnet. 

Aufnahme aus dem Jahr 2002
Aufnahme aus dem Jahr 2002 © AP

In diesen Jahren gelang es, den Turm um 41 Zentimeter aufzurichten. Seit 2001 hat sich der schiefe Turm um weitere vier Zentimeter aufgerichtet. Es handelte sich um eine ausgezeichnete Ingenieursleistung, die eine drohende Katastrophe zu verhindern wusste. „Er war kurz vor dem Umkippen“, wussten Statik-Experten damals.

In blaues Licht getaucht
In blaues Licht getaucht © EPA

Einige der damaligen Vorschläge zur Rettung wirkten bizarr. So wurde in den USA der Plan geschmiedet, den Turm an Heißluftballons aufzuhängen. Japanische Baumeister wollten den Turm Stein für Stein abbauen und schließlich wieder gerade aufbauen. In England dachte man über die Umleitung des Grundwassers nach, um die Stabilität des nachgebenden Bodens zu gewährleisten. Die von der italienischen Regierung berufene Expertenkommission griff dann tatsächlich im Untergrund ein. Mittels spezieller Bohr-Sonden saugten Techniker rund 50 Kubikmeter Boden aus dem lehmigen und sandigen Untergrund des Turmes ab, diese Maßnahme gilt bis heute als die eigentliche Rettungsmaßnahme.

Der im 12. Jahrhundert gebaute Turm hatte sich über die Jahrhunderte infolge von Erdbeben und dem weichen Untergrund immer mehr geneigt. Gedacht war er als stolzer, den Wohlstand der Stadt repräsentierenden Glockenturms des Doms von Pisa. 100 Meter hoch sollte der Turm eigentlich werden. Weil aber bald nach Beginn der Bauarbeiten im Jahr 1173 die ersten Komplikationen auftraten, änderten die Baumeister ihre Pläne. Der Turm wurde dann doch nur 55 Meter hoch. 

Der Geotechniker John Burland war an der Rettung des Schiefen Turms von Pisa beteiligt
Der Geotechniker John Burland war an der Rettung des Schiefen Turms von Pisa beteiligt © AP

Für die Sanierung mehr als 800 Jahre später wurde der Turm mit Stahltrossen gesichert, in den Zeitungen war von einem Korsett oder „Hosenträgern“ die Rede. Schließlich wurden knapp 1000 Tonnen schwere Bleigewichte am Fuße des Monuments angebracht. Durch die langsam abgesaugte Erde im Untergrund richtete sich das Gebäude Zentimeter für Zentimeter auf, 45 Zentimeter seit 1990.

Besonders viele Besucher dürfen immer noch nicht nach oben, 15 Menschen gleichzeitig sind es derzeit. 20 Euro kostet das Vergnügen. Am Wochenende ist eine Reservierung obligatorisch. Wie es heißt, muss man sich keine Sorgen machen, dass der schiefe Turm sich in Folge der Sanierung weiter aufrichtet und irgendwann gerade dasteht. Der schiefe Turm bleibt schief, so viel scheint sicher.