Während sich die Delta-Variante immer stärker ausbreitet, flacht die Impfkurve in vielen Ländern derzeit ab. Nun bricht in Europa eine Debatte über eine Impfpflicht im Gesundheitsbereich aus. Während die Regierungen in Österreich und Deutschland dies ablehnen, sind in mehreren Ländern Europas bereits Entscheidungen getroffen worden. Hier ein Überblick.

Großbritannien

Das britische Parlament hat am Mittwoch einer Corona-Impfpflicht für Pflegekräfte in Heimen in England zugestimmt. Ab Oktober müssen Heim-Mitarbeiter zwei Impfungen gegen das Virus vorweisen. Allerdings votierten mehrere Mitglieder der Konservativen Partei von Premierminister Boris Johnson am Dienstagabend gegen das Vorhaben. Sie kritisierten, dass die Regierung vor der Abstimmung keine Bewertung der Auswirkungen veröffentlicht hat. Gesundheits-Staatssekretärin Helen Whately betonte, die Regierung arbeite daran. Sie sagte, dass Heimbetreiber impfunwilligen Beschäftigten eine alternative Arbeitsstelle anbieten könnten. Die Corona-Krise hatte in Großbritannien vor allem zu Beginn die Pflege- und Altersheime getroffen. Dort starben in den ersten Monaten der Pandemie fast 30.000 Bewohner mehr als im Vorjahreszeitraum.

Die Impfpflicht gilt nur in England. Die Regierungen der anderen britischen Landesteilen Schottland, Wales und Nordirland, die für die Gesundheitspolitik selbst verantwortlich sind, haben keine entsprechenden Pläne.

Frankreich

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der eine Impfpflicht noch vor wenigen Monaten kategorisch ausschloss, hält diese angesichts der vierten Welle für unvermeidlich. „Wir müssen auf eine Impfung aller Franzosen zusteuern, das ist die einzige Möglichkeit, um zur Normalität zurückzufinden“, sagte Macron bei einer Fernsehansprache am Montagabend.  

Als ersten Schritt führt Frankreich eine Impflicht für alle medizinischen und nichtmedizinischen Mitarbeiter von Krankenhäusern, Altenheimen und Pflegeeinrichtungen ein. Jeder, der in Kontakt mit alten Menschen oder Patienten mit Vorerkrankung arbeitet, muss bis Mitte September geimpft sein. Ab diesen Zeitpunkt kündigt die Regierung Kontrollen und erste Sanktionen an. „Medizinisches Personal, das bis zum 15. September nicht geimpft ist, kann nicht weiterarbeiten und wird nicht länger bezahlt“, drohte Gesundheitsminister Olivier Véran.  

Die Mehrzahl der Berufsverbände des Pflegesektors begrüßt diese Pflicht, weil Impfzögerlichkeit gerade im Gesundheitssektor in Frankreich weit verbreitet ist. Die Impfquote liegt dort zwar mit 63 Prozent Erstgeimpfter etwa so hoch wird in der Gesamtbevölkerung, aber medizinische Mitarbeiter trügen eine höhere Verantwortung, mahnt die Regierung. Je höher qualifiziert die Mitarbeiter sind, desto höher ist auch die Impfquote. Über 70 Prozent der Ärzte haben zumindest eine Impfdosis erhalten. Bei Krankenschwestern liegt die Quote bei knapp 60 Prozent, etwas höher beim Pflegepersonal von Altenheimen. Am niedrigsten ist sie bei Pflegehelfern, von denen nur 50 Prozent die erste Dosis erhalten haben. 

Auch auf den Rest der Bevölkerung macht die Regierung Druck. Bislang war ein Gesundheitspass nur für Veranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern nötig. Schrittweise soll der Pass auf Bus- und Zugfahrten, Flüge, Restaurants, Cafés, Kinos und große Einkaufszentren erweitert werden. Bald kann nur noch am öffentlichen Leben teilnehmen, wer eine komplette Impfung, eine Genesung oder einen negativen PCR-Text nachweisen kann. Weil Tests ab Herbst kostenpflichtig werden, stürzten sich noch während der Ansprache Macrons Hunderttausende auf die zentrale Webseite, die die Impftermine verwaltet. Bis Dienstagmittag hatten 1,3 Millionen mehrheitlich jungen Franzosen einen Impftermin gemacht. Allerdings werden sie die abgeschlossene Impfung frühestens in zwei Monaten nachweisen können. Derweil steigen die Ansteckungszahlen rapide. Gerade in Urlaubsgebieten wie im südfranzösischen Departement Var liegt der Anteil der Delta-Variante jetzt bei knapp 90 Prozent. 

Griechenland

Seit Wochen war es in Griechenland in der Diskussion, jetzt macht Ministerpräsident Kyriakos angesichts stark steigender Neuinfektionen ernst: Ab sofort gilt eine Impfpflicht für Beschäftigte in Alten- und Pflegeheimen. „Wer sich nicht daran hält, wird ab 16. August freigestellt“, kündigte Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis am Montagabend in einer Fernsehansprache an. Bis zum 1. September müssen sich auch alle Bediensteten im Gesundheitsbereich gegen Covid-19 impfen lassen. „Es darf nicht sein, dass jene, die besonders gefährdete Menschen schützen sollen, selbst möglicherweise Träger des Virus sind“, sagte Mitsotakis.

Gesundheitsminister Vasilis Kikilias erläuterte am Montagmittag in einer Pressekonferenz, was Verweigerern im Gesundheitswesen genau droht: Wer bis zum 16. August nicht wenigstens die erste Impfung absolviert hat, wird in unbezahlten Urlaub geschickt. Von diesem Zeitpunkt an dürfen auch Alten- und Pflegeheime nur noch Bewohner neu aufnehmen, die geimpft sind. Bei Verstößen drohen den Betreibern der Heime Geldstrafen von 50.000 Euro, im Wiederholungsfall von 200.000 Euro. Die Impfpflicht gilt nicht nur für Ärzte, Pfleger und medizinisches Personal, sondern auch für Mitarbeiter der Verwaltung. Ausnahmen dürfen nur aus zwingenden medizinischen Gründen gemacht werden.

Ungeimpfte müssen in Griechenland mit weiteren Einschränkungen rechnen: Mitsotakis kündigte an, dass ab Freitag dieser Woche bis Ende August der Zutritt zur Innengastronomie, zu Bars und Nachtklubs, Kinos und Theatern nur Besuchern gestattet wird, die eine abgeschlossene Impfung nachweisen können. Die Regelung gilt auch für ausländische Touristen. Sie können zwar mit einem negativen aktuellen PCR- oder Rapid-Test einreisen, brauchen aber für den Besuch in einer Disco oder Bar künftig einen Impfnachweis. Tanzen und stehen ist in den Nachtlokalen überdies verboten, es dürfen nur sitzende Gäste bewirtet werden. Wie das auf den Ferieninseln durchgesetzt werden kann, bleibt allerdings abzuwarten.

In Griechenland steigen die Neuinfektionen seit einigen Wochen wieder stark an. Die Sieben-Tage-Inzidenz schnellte von 25 Ende Juni auf aktuell über 133. Das Virus grassiert jetzt vor allem unter jungen Leuten in Strandbars und Nachtlokalen. In einer Umfrage von Ende Juli sprachen sich immerhin 65 Prozent der Befragten für eine Impfpflicht in bestimmten Berufsgruppen aus. Bisher sind in Griechenland 41 Prozent der über 18-Jährigen vollständig geimpft. Ab Montag Donnerstag können sich auch 15- bis 17-Jährige impfen lassen, allerdings nur mit Einwilligung der Eltern.

Vorreiter Italien kämpft gegen Klagen

In Italien ist man unterdessen bereits viel weiter. Dort haben rund 300 Mitarbeiter des italienischen Gesundheitswesens, darunter mehrere Ärzte, haben beim Verwaltungsgericht der lombardischen Stadt Brescia Klage zur Aufhebung der in Italien Ende Mail eingeführten Impfpflicht für das Gesundheitspersonal eingereicht. Die Gerichtsverhandlung, bei der ein Richter den Fall prüfen wird, ist am heutigen 14. Juli geplant, berichteten italienische Medien.

"Wir sind keine Impfverweigerer, hier geht es um ein Kampf für die Demokratie. Italien ist das einzige Land in der Europäischen Union, das eine Pflichtimpfung für bestimmte Personengruppen zur Vorbeugung von SARS-CoV-2 vorsieht", heißt es in der 52-seitigen Klageschrift. Nach der von der italienischen Regierung eingeführten Impfpflicht für das Gesundheitspersonal sind diese Woche bereits 123 ungeimpfte Mitarbeiter im Südtiroler Sanitätsbetrieb und in Heimen vom Dienst suspendiert worden - und zwar ohne Lohn. Das nicht geimpfte Personal darf künftig seine Abteilungen nicht betreten. Weitere 38 Suspendierungen stehen an.

Sanitätsbetriebe in anderen italienischen Regionen könnten bald dem Südtiroler Beispiel folgen. Regionen und autonome Provinzen müssen laut dem vom italienischen Parlament Ende Mai verabschiedetes Gesetz den lokalen Gesundheitsbehörden nicht geimpftes Personal melden. Innerhalb von fünf Tagen muss dann genau dargelegt werden, warum eine Ausnahme von der Impfpflicht beantragt wird. Die gibt es nur unter ganz speziellen Bedingungen, etwa wenn die Impfung nachweislich eine gesundheitliche Gefahr für die betreffende Person darstellen könnte.

Personal, dass sich nicht impfen lassen will, muss Aufgaben ohne direkten Kontakt mit Patienten oder Kunden übernehmen. Gibt es diese Ausweichmöglichkeit nicht, können die Verweigerer solange vom Dienst suspendiert werden, bis die nationale Impfkampagne abgeschlossen ist. Das bedeutet Zwangsurlaub ohne Gehalt bis Jahresende.