Die Sonne leuchtet mit den Wellen um die Wette. Die Dächer von Split verschwinden allmählich am Horizont. Die grünen Gestade von Brac und Hvar tauchen auf. Fische springen. Eine einsame Möwe kreischt, während das Fährschiff von Kroatiens staatlicher „Jadrolinija“ gemächlich durch Dalmatiens malerische Inselwelt in Richtung Süden tuckert.

Corona scheint weit weg, ist aber auch an Bord der „Petar Hektarovic“ allgegenwärtig. „Tragen Sie Masken, schützen Sie sich und andere,“ so die halbstündig wiederholte Botschaft aus den knarrenden Schiffslautsprechern. Die Kunde wird von den fröhlich schwatzenden Passagieren vernommen, aber kaum erhört. Ob auf dem Sonnendeck oder unter Deck in der Schiffskantine: Außer dem Personal haben sich nur wenige den lästigen Gesichtsschutz übergestreift.

„Willkommen!“: Lächelnd wuchtet der hochgewachsene Taxi-Fahrer im Hafen von Vis das Gepäck in seinen Kombi. Maske trägt der Mann im blau-weiß gestreiften T-Shirt zwar nicht. Doch steuert dafür er sein Gefährt in der flirrenden Mittagshitze mit geöffneten Fenstern über die Anhöhen der Insel.

Mehr Touristen als im Vorjahr

Weniger als das Virus beschäftigen den freundlichen Chauffeur die Aussichten für die begonnene Sommersaison. „Wir haben mehr Besucher als im letzten Jahr“, berichtet er, während er gekonnt durch die Haarnadelkurven der Serpentinen hinab zum Fischerstädtchen Komiza kurvt: „Aber so viele Touristen wie vor Corona werden auch in diesem Sommer nicht kommen.“

Fast jede vierte Kuna wird im Adria-Staat mit dem Fremdenverkehr verdient. Die Epidemie hatte Kroatiens Tourismussektor im letzten Jahr denn auch sehr hart gebeutelt. Gegenüber dem Rekordjahr 2019 schrumpfte der Umsatz der Branche im ersten Corona-Jahr um satte 54 Prozent, die Zahl der Gäste sank gar um fast zwei Drittel: Nicht zuletzt wegen der Einbrüche im Tourismus wurde der EU-Neuling 2020 von einem Minuswachstum von 8,4 Prozent gebeutelt.

Morgenluft

Der Auftakt der diesjährigen Sommersaison lässt Kroatiens Gastronomen erneut Morgenluft wittern und auf bessere Zeiten hoffen. Über 600 000 ausländische Sonnensucher sind bereits wieder im Land, fast doppelt so viel wie vor Jahresfrist – die meisten kommen aus Deutschland, Slowenien, Tschechien, Polen und Österreich. Wenn sich der Trend fortsetze, sei in diesem Jahr wieder mit 60 Prozent des Vorkrisenumsatz von 2019 zu rechnen, sagt in Zagreb Tourismusministerin Nikolina Brnjac der Kleinen Zeitung: „Wir sehen Grund zum Optimismus - sofern alle epidemiologischen Maßnahmen befolgt werden.“   

Unablässig zirpen im Geäst der hohen Pinien die Grillen. Leise plätschern Wellen an das steinige Gestade. Kinderlachen schallt über den in Komiza keineswegs überfüllten Strand. Zumindest bei den von ihm betreuten Ferienappartments liefen die Reservierungen für den Sommer „sehr gut“, versichert dennoch der langhaarige Zimmervermittler Miroslav.

Den Widerspruch zwischen dem mäßigen Gästeandrang und den fast ausgebuchten Herbergen in Komiza erklärt Olivenölverkäuferin Ivenka auch mit den großzügigen Corona-Regelungen der Vermieter, die wegen der ungewissen Lage oft unverbindliche Reservierungen ohne die übliche Anzahlung anbieten: „Viele Leute haben zwar reserviert. Doch selbst Engländer warten oft noch die Entwicklung ab - und stornieren ihre Buchung erst im letzten Moment.“

Besorgte Epidemiologen

Nicht nur in Spanien und Portugal, sondern auch in der Türkei, Zypern und in immer mehr Regionen Griechenlands schlagen die Epidemiologen angesichts steil steigender Infektionszahlen wieder besorgt Alarm. Im Gegensatz zu anderen Ferienzielen am Mittelmeer ist die Siebentages-Inzidenz in Kroatien mit derzeit 14,4 zwar weiterhin niedrig. Doch trotz der Rückkehr der Touristen wird die Hoffnung auf eine Erholung der Branche auch im Adriastaat von Sorgen getrübt: Die Delta-Ängste überschatten den Auftakt der Sommersaison.

Die Corona-Sorgen der Konkurrenz erfüllen Kroatiens Tourismusbranche keineswegs mit klammheimlicher Freude, im Gegenteil. Spanien und Portugal müssten für Kroatien „eine Warnung“ sein, mahnt Kristijan Stanisic, der Direktor vom Tourismusverband HTZ, die strikte Einhaltung der Präventivmaßnahmen an: „Die Lage kann sich auch bei uns ändern.“  

Zu wenig Geimpfte

Es ist vor allem das erlahmte Interesse an den Impfungen, das Zagreb mit Sorgen erfüllt. Erst etwas mehr als 37 Prozent der Kroaten ist zumindest einmal geimpft: Die Impfquote des Adriastaats liegt damit deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 53 Prozent und gar 20 Prozent unter dem des wichtigsten Gästelands Deutschland. Auf 1,3 Millionen beziffern die Medien mittlerweile den sich rasch vermehrenden Vorrat von noch nicht genutzten Impfdosen.

Tourisministerin Brnjac verweist indes nicht nur auf die umfassenden Präventivvorkehrungen von der Ein- und der Anreise bis zum Verbleib am Zielort, sondern auch auf Prioritätsimpfungen für die Branche in allen Küstenregionen. So seien im Hotelgewerbe bereits 80 Prozent der Beschäftigten geimpft: „Besucher können sich in Kroatien absolut sicher fühlen.“

Tatsächlich sind beispielsweise die Infektionszahlen in dem bei mitteleuropäischen Besuchern besonders beliebten Istrien mit einer Siebentagesinzidenz von lediglich 1,4 weiter extrem niedrig. Im populären Touristenziel Rovinj haben sich gar über 80 Prozent der Bevölkerung impfen lassen – die mit Abstand höchste Rate im Adriastaat.

Auch vor Jahresfrist hatte sich Kroatien als sicheres Reiseziel präsentiert. Doch im August schnellten die Infektionszahlen auch wegen der laxen Befolgung der Präventivmaßnahmen steil nach oben – und setzen der Sommersaison ein verfrühtes Ende. „Wir haben vom letzten Jahres viel gelernt“, beteuert Brnjac: „Und diese Erfahrungen setzen wir nun um.“

Das Coronavirus kennt kaum Grenzen. Und auf Dauer gehen Tourismus und soziale Distanz selten Hand in Hand. Spätestens im Herbst wird auch in Kroatien mit einem Wiederaufflackern der Epidemie gerechnet. Doch wenige Wochen früher oder später können über Millionenbeträge entscheiden - und die Existenz tausender Familienbetriebe. Nur wenn die Hauptsaison bis Ende August ohne ein Abrutschen in die rote Zone über die Bühne geht, scheinen die optimistischen Wachstumsprognosen der Regierung für dieses Jahr zu halten.

Kassensturz

Die letzten Gläser werden geleert, die leeren Teller sind bereits abgeräumt. Zwei Polizisten in hellblauen T-Shirts kontrollieren an der Riva von Komiza die Einhaltung des nahenden Zapfenstreichs. Schon vor Mitternacht macht Wirt Boris in der „Konoba Koluna“ Kassensturz. Im letzten Corona-Jahr hatte der gelernte Sportpädagoge sein Freiluftrestaurant vorsorglich erst gar nicht geöffnet. Nun hat er sich vor dem Sommer genauso wie seine in der Küche arbeitende Mutter zwar impfen lassen. Aber dennoch blickt der braungebrannte Gastronom der zweiten Corona-Saison auf Vis eher zweifelnd entgegen.

Erst sehr spät habe er im benachbarten Bosnien Saisonkräfte anheuern können und ob sich das auszahlen werde, wisse er nicht, berichtet er mit einem Achselzucken: „Noch im Frühjahr wusste niemand, ob die Saison überhaupt kommt. Und jetzt weiß niemand, wie sie wird.“ Auch wegen der verminderten Anlandung der Yachten mit den Seglergruppen sei der Kundenandrang in den Schänken von Komiza merklich geringer. Gleichzeitig habe sich die Zahl der Restaurants selbst noch etwas erhöht: „Mehr teilen sich nun weniger.“