Es ist die strengste Maßnahme in der Türkei seit Beginn der Pandemie vor mehr als einem Jahr: Mit dem aktuellen landesweiten Lockdown will die Türkei die derzeit hohen Corona-Infektionszahlen im Land senken.

Mit der landesweiten Ausgangssperre bis zum 17. Mai will Erdoğan die hohen Infektionszahlen drücken, die zuletzt mehr als 60.000 pro Tag erreichten. Die Millionenmetropole Istanbul hat eine Sieben-Tage-Inzidenz von 850. Bis zum Ende des Ramadan müsse die tägliche Zahl der Neuinfektionen drastisch sinken, erklärte Präsident Erdoğan.

Alle für den Grundbedarf nicht nötigen Geschäfte haben seit Donnerstagabend und nun für mindestens drei Wochen geschlossen. Die Menschen dürfen nur für lebenswichtige Einkäufe nach draußen.

Was viele Säkulare besonders erbost: Auch Alkohol darf in der Zeit des Lockdowns nicht verkauft werden. In Supermärkten sind Raki und Co. in dieser Zeit weggesperrt. Alkoholverbot alla turca. "Dieses Verbot hat nichts mit der Corona-Pandemie zu tun", sagt Veli Ağbaba, Vizechef der Oppositionspartei CHP.

"Erdoğan verbietet unsere Lebensweise", titelt die Oppositionszeitung "Cumhuriyet". Der Genuss von Raki ist in der Türkei ein Teil der säkularen Lebensfreude. Regierungskritiker vermuten hinter dem Verbot denn auch nicht die Eindämmung der Pandemie, sondern einen Probelauf für die zunehmende Islamisierung der Türkei und eine angestrebte Verfassungsänderung. 

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan deutete bereits im Februar Pläne für eine erneute Verfassungsänderung an. "Es ist klar, dass die Quelle der Probleme der Türkei darin liegt, dass ihre Verfassungen immer von Putschisten geschrieben wurden", sagte Erdoğan damals nach einer Kabinettssitzung in Ankara.

Präsident Erdogan
Präsident Erdogan © AFP

Kritiker sind davon überzeugt, dass es Erdoğan schlicht darum gehe,  über das Jahr 2028 hinaus im Amt zu bleiben. Seit dem gescheiterten Militärputsch im Juli 2016 setze der türkische Präsident alles daran, seine Macht zu sichern, vermuten sie.

Nach der geltenden Verfassung könnte er im Falle einer Wiederwahl längstens bis 2028 Präsident bleiben. "Es könnte Zeit für die Türkei sein, die Debatte über eine neue Verfassung wieder zu eröffnen", sagte Erdoğan. Zusammen mit den Koalitionspartnern könne er diese Frage in Zukunft angehen. Erdoğans AKP, die derzeit nicht die absolute Mehrheit im Parlament hat, regiert mithilfe der ultrarechten MHP.

Atatürks Gegenspieler

Die bisherige Verfassung wurde 1982 nach einem Militärputsch eingeführt. Erdoğan hatte die Verfassung bereits 2017 ändern lassen und die Türkei zu einem präsidialen Regierungssystem umgebaut, was die Befugnisse des Staatschefs stark ausweitete.

Durch das Präsidialsystem verändert Erdoğan nicht nur das politische System der Türkei. Indem er an islamische Traditionen anknüpft, zeigt er sich als Gegenspieler zu Mustafa Kemal Atatürk, dem Gründer der Republik.

Erdogan in der Hagia Sophia, die im Vorjahr in eine Moschee umgewidmet wurde
Erdogan in der Hagia Sophia, die im Vorjahr in eine Moschee umgewidmet wurde © AFP

Hagia Sophia

Für Erdoğan war zuletzt die Umwidmung der Hagia Sophia in eine Moschee im vorigen Sommer ein Triumph über seinen großen historischen Rivalen Atatürk. Denn just Atatürk war es, der bei der Ausrufung der Republik im Jahr 1923 die Trennung von Staat und Religion festschrieb.

Erdoğan arbeitet seit Jahren daran, das Erbe Atatürks zu demontieren. Auf dem Weg zur "Islamischen Republik Türkei" ist die Umwandlung der Hagia Sophia zur "Ayasofya Camii", wie sie jetzt heißt, eine wichtige Station, erklärten Türkei-Experten im Vorjahr. 537 unter Kaiser Justinian fertiggestellt, war die Basilika mehr als 900 Jahre lang das bedeutendste Gotteshaus der orthodoxen Christenheit und die Krönungskirche der Kaiser von Byzanz. Nach der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen machte Sultan Mehmet II. aus der Kathedrale eine Moschee. 1934 wandelte Atatürk die Hagia Sophia in ein Museum um.