Wenn es nach Indien und Südafrika geht, kann die Corona-Impfstoff-Knappheit schnell behoben werden: Man muss die Patente der Pharmafirmen aufheben, damit jede Firma, die es technisch dazu in der Lage ist, die Impfstoffe produzieren kann. Bei der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf verlangen sie das vorübergehende Aussetzen der Patente, aber sie beißen auf Granit. Die USA, die EU, Großbritannien und andere reiche Länder lehnend das strikt ab.

Am Donnerstag kommt das Thema im WTO-Rat über das "Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums" (TRIPS) wieder auf den Tisch. In dem Vertrag verpflichten die 164 WTO-Mitglieder sich, Patente zu respektieren. Ein Patent schützt ein Produkt oder Verfahren vor Nachahmung. Produzieren darf nur, wer eine Lizenz erhält. Damit kontrolliert der Patenthalter, wer produziert, und verdient mit.

Verbund der Reichen

Die reichen Länder schössen sich mit ihrer Haltung selbst ins Bein, meinte der Vertreter Indiens im November im TRIPS-Rat: "Die Patentaussetzung kann zu einer Erhöhung der weltweiten Produktion und damit nicht nur zu einem fairen, sondern auch zu einen bezahlbaren Zugang zu diesen Impfstoffen für alle Länder beitragen." Dutzende Länder unterstützen das Ansinnen inzwischen.

Doch die reichen Länder stehen aufseiten der Pharmafirmen. "Der TRIPS-Vertrag ist die Voraussetzung dafür, dass Unternehmen wie BioNTech solche Mittel überhaupt entwickeln", sagt ein westlicher Handelsdiplomat in Genf. "Es wäre das völlig falsche Signal, den Patentschutz einfach auszuhebeln."

Das bringt Kate Elder, Impfstoff-Expertin bei der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen", auf die Barrikaden: "Was für eine Verlogenheit der Regierungen, die Impfstoff horten!" schimpft sie. "Erst saugen sie den Markt leer und dann blockieren sie ärmere Länder, die produzieren wollen. Das ist kolonialistisch und absolut widerlich."

Für die Pharmaindustrie ist der Griff nach dem Patentschutz ein rotes Tuch. "Selbst, wenn die Patente ausgesetzt würde, würde in dieser Pandemie keine einzige zusätzliche Dosis die Menschen erreichen", sagt der Generaldirektor des Pharmaverbandes IMFPA, Thomas Cueni. Eine Fabrik zu bauen, die die hochkomplexen neuen Impfstoffe herstellen könne, dauere drei bis fünf Jahre, heißt es.

Pfizer-Chef Albert Bourla sagt, ohne Patente könne die Industrie keine lebenswichtige Arzneistoffe entwickeln: "Investoren geben Geld, damit wir Lösungen entwickeln" - und dafür verdienten sie Rendite. Es gehe aber nie um maximalen Profit, beteuert er: In ärmeren Ländern würden die Mittel billiger verkauft. Der Corona-Impfstoff von BioNTech/Pfizer soll in diesem Jahr 15 Milliarden Dollar (12,45 Mrd. Euro) zusätzlich in die Kassen spülen, wie das Unternehmen gerade berichtete.

Die Firmen hätten Milliarden an Steuergeldern bekommen, um die Corona-Impfstoffforschung voranzutreiben, sagte Elder. "Die Früchte von daraus resultierender Forschung müssen mit kompetenten Herstellern geteilt werden", fordert sie. "Öffentliche Gelder dürfen nicht umsonst sein." Patente verhinderten Wettbewerb, Medikamente dürften kein Kommerzprodukt sein. Ärzte ohne Grenzen geht in Indien und Südkorea rechtlich gegen Pfizer vor, weil das US-Unternehmen dort die Produktion billigerer Nachahmermittel für einen Impfstoff gegen die Lungenentzündung unterbunden hat.

Die Chancen, dass der Vorstoß Indiens und Südafrikas durchkommt, kommentiert ein Handelsdiplomat in Genf mit den Worten: "Mission Impossible". Es geht trotzdem etwas - der deutsche WTO-Vize-Direktor Karl Brauner verweist darauf, dass der indische Impfstoffhersteller Serum Institute für den europäischen Impfstoffentwickler AstraZeneca Impfstoff herstellt. "TRIPS hin oder her, glücklicherweise gibt es schon das Beispiel der Zusammenarbeit bei der Impfstoffproduktion zwischen einem Know-how-Träger aus einem Industrieland mit einem Serumproduzenten in einem Entwicklungsland", sagte er der Deutschen Presse-Agentur.