Im Garten der Pension Ponte Chiodo unweit des Canal Grande geht nur die Katze der Nachbarin ein und aus. Die Zimmer der ehemaligen Gondelbauerwerkstatt sind seit Monaten verwaist. „Viele Geschäfte in der Nachbarschaft haben dichtgemacht“, sagt Mattia Baseggio, der Besitzer des Hauses, dessen Boot an einem kleinen Steg vor seinem Büro vertäut ist. Nach der Rückkehr der Touristen im Sommer liegen die Gassen abseits vom Markusplatz seit Beginn der zweiten Coronawelle verlassen da. Im Frühling hatten sie einen Neuanfang ohne Massentourismus gefordert, jetzt sehnen sich viele Venezianer nach den Kreuzfahrtschiffen zurück. Dabei gelten die schwimmenden Bettenburgen als Bedrohung für die Lagune und die Pfahlbauten, auf denen die prächtigen Palazzi seit Jahrhunderten im Wasser stehen.

„Wir warten seit einem Jahr auf Kreuzfahrtschiffe“, sagt Davide Cigogna im trotz aller Besorgnis fröhlichen Singsang der Venezianer. „Hoffentlich kommen sie im April zurück.“ Der Familienvater arbeitet als Gepäckträger im Hafen. Doch seit die Costa Concordia vor neun Jahren einen Felsen rammte und vor Giglio auf Grund lief, weht Kreuzfahrtschiffen in der Serenissima der Wind ins Gesicht. Ein unterm Eindruck der Tragödie von der Regierung verhängtes Verbot für Ozeanriesen hielt vor Gericht nicht stand. Seither streiten Umweltschützer und Tourismusindustrie um einen Ausweg. Die hunderte Meter langen Schiffe machen Venedig zu einem der am stärksten verschmutzten Häfen in Europa.

Die Industrie macht Druck

Die Bürgerinitiative „No grandi navi“ (Nein zu großen Schiffen) fordert, Kreuzfahrtriesen ganz aus der Lagune zu verbannen. Sie verurteilt die vor Kurzem von Rom beschlossene Übergangslösung, die Schiffe im Industriehafen Marghera anlegen zu lassen. Denn auch Marghera liegt innerhalb der Lagune. Pläne für einen Offshore-Hafen außerhalb der Lagune stoßen auf den Widerstand von Anrainern. Das 200 Millionen Euro teure Projekt würde das Strandleben der Venezianer am Lido stören.
Cigogna sieht trotzdem keine andere Möglichkeit. Das Dämmesystem Mose, das die Stadt vor Hochwasser schützt, versperrt die Einfahrt in die Lagune. „Man kann die Schotten nicht binnen einer Stunde runterfahren“, sagt er. Nur wenn außerhalb der Lagune ein schwimmendes Terminal errichtet werde, sieht er eine Chance auf Arbeit für seinen Sohn.

Während vielen Venezianern der Anblick von Kreuzfahrtriesen am Ende enger Gassen Angst macht, übt die Industrie Druck auf die Regierung aus. In der Werft von Monfalcone bei Triest lief erst im Oktober die Enchanted Princess vom Stapel. Der Bau weiterer 44 Kreuzfahrtschiffe garantiert derzeit Tausende Arbeitsplätze.

Aus Furcht vor einem Stopp für Ozeanriesen werden die Schiffe der Royal Caribbean künftig Ravenna und nicht mehr Venedig anlaufen. Von dort sollen Touristen per Bahn und Bus in die 150 Kilometer nördlich gelegene Lagunenstadt gelangen.

Das lange Warten auf die Touristen

„Venedig hofft auf eine Rückkehr der Kreuzfahrtschiffe, denn sie versorgen 5.000 Familien mit Arbeit“, sagt Simone Venturini trocken. „Aber sie dürfen nicht mehr am Markusplatz vorbeifahren“, warnt der Stadtrat für Tourismus. Einzig der Ausbau des Hafens von Marghera als Terminal erfülle gleichzeitig die Anforderungen von Wirtschaft und Umweltschutz, meint Venturini, der selbst aus dem Industrieort auf dem Festland stammt. „Aber die Regierungen haben beschlossen, nichts zu entscheiden“, sagt der 33-Jährige bitter.

Mattia Baseggio wartet derweil auf die Rückkehr der Touristen. „Der Canal Grande ohne Verkehr ist wunderschön, aber jetzt reicht es“, sagt der Besitzer der Pension Ponte Chiodo. Auch er hofft auf Marghera, der Bau eines neuen Offshore-Hafens außerhalb der Lagune klingt für ihn wie ein teures Märchen.