Im vorigen Jahr konnte sich Irland als Vorbild im Kampf gegen Covid präsentieren. Noch Anfang Dezember stand man auf der „Grünen Insel“ vergleichsweise gut da.

Strikte Eingrenzungen der Bewegungsfreiheit und Abgrenzungen gegen außen halfen die Zahl neuer Infektionen zu beschränken. Die Insellage erwies sich als nützlich. Und von den viel geliebten Pubs hielt man sich – notgedrungen – fern.

Lockerung zu Winterbeginn

Ausgerechnet zu Beginn des Winters aber lockerte die irische Regierung die strengen Regeln. Restaurants und Läden durften wieder ihre Türen öffnen. Mit einem Mal konnte man ins Museum oder ins Kino gehen. Für die Weihnachtszeit wurden außerdem Kontaktbeschränkungen und Reise-Restriktionen aufgehoben. Mehrere Haushalte durften sich treffen, auch über Grafschafts-Grenzen hinweg.

All diese Lockerungen aber, die viele Iren als grünes Licht für einen Neustart des sozialen Lebens im Lande deuteten, hatte verheerende Folgen. In äußerst kurzer Zeit stieg im Dezember die Zahl der Neuinfektionen in Irland steil an. Als es auf Weihnachten zuging, verschlimmerte sich die Lage schlagartig. Und zu Beginn des Neuen Jahres schauten die Iren einander schockiert an.

Denn ausgerechnet ihr Land, das sich monatelang so wacker geschlagen hatte, wies plötzlich die höchste Covid-Zuwachsrate weltweit auf. Mitte Dezember kam Irland im wöchentlichen Schnitt noch auf 52 neue Infektions-Fälle pro Million Einwohner und pro Tag. Am Montag dieser Woche waren es 1,394 neue Fälle – weit mehr als im benachbarten Großbritannien oder sogar in den USA.

"Schwindelerregend"

Allein in der ersten Januarwoche verzeichnete Irland 46.000 Neuinfektionen. Das waren mehr Fälle als im gesamten Zeitraum von März bis Oktober vorigen Jahres. „Unvorstellbar“ wäre so etwas vor kurzem noch gewesen, stöhnte Philip Nolan, einer der Top-Ratgeber der Regierung. Der Dubliner Soziologe und Pandemie-Experte Seán L´Estrange fand „schwindelerregend“, was er sah.

Dabei war, L´Estranges Einschätzung zufolge, die Lage in Irland allein schon durch die Lockerung der Restriktionen im Vorfeld der Weihnachtszeit „außer Kontrolle geraten“. Man müsse den Leuten „ihren Santa-Schmalz gönnen“, habe sich die Regierung offenbar gesagt. Dummerweise hätten die irischen Minister „alle Anzeichen ignoriert“, wetterte der Soziologe: „Sogar Boris Johnson machte noch eine Kehrtwendung und ließ Weihnachten abblasen. Aber unsere Leute hier haben sich die Finger in die Ohren gesteckt.“

Verhängnisvoller Schritt

Das sollte sich als umso verhängnisvoller erweisen, als die von Johnson am 19. Dezember in heller Panik gemeldete „neue Variante“ des Virus – die in Südostengland entdeckte Mutation B.1.1.7. – schneller als erwartet übergriff auf Irland. Die Variante ist bekanntermaßen weit ansteckender als die ursprüngliche Covid-19-Form und breitet sich entsprechend rascher aus.

Zur Jahreswende war die B.1.1.7.-Variante schon für jede vierte Neuansteckung in Irland verantwortlich. Inzwischen soll es jede zweite sein. „Die Verbindung erneuter Geselligkeit mit der neuen Variante aus dem Vereinigten Königreich hat eine äußerst gefährliche Lage geschaffen“, klagt nun Irlands Taoiseach (Regierungschef) Micheál Martin. Den einzigen Hoffnungsschimmer sieht Martin darin, dass sich der Trend erstmals umgekehrt hat in den letzten Tagen. Nach Angaben der Gesundheitsämter nehmen die Neuinfektionen neuerdings wieder deutlich ab.

Neuzugänge verdoppelt

Das hilft freilich den irischen Kliniken (noch) nicht, die mit den Konsequenzen der jüngsten Infektions-Woge zu kämpfen haben. Zuletzt hatten sich die Neuzugänge von Woche zu Woche verdoppelt. Sirenen und Blaulicht standen nicht still.

Längst sind Betten und Personal auf den Intensivstationen knapp geworden. Rund 1800 Covid-Patienten gibt es zur Zeit in Irlands Krankenhäusern. Ein Zehntel davon liegt auf Intensivstationen.

Gerade mal zwei Dutzend Intensiv-Betten seien noch verfügbar, haben Irlands Klinik-Verwaltungen erklärt diese Woche. Kritiker werfen der Regierung vor, im vorigen Sommer nicht genug unternommen haben zum Ausbau der Intensivstationen im Land.

150-prozentige Belegung

Leider liege Irland, was entsprechende Betten und Geräte betreffe, hinter anderen europäischen Ländern zurück, meint Dr. Enda O´Connor, Direktor der Intensiv-Abteilung in Dublins St James´s Hospital. An seinem Krankenhaus habe man derzeit „eine 150-prozentige Belegung“. Und der Höhepunkt dieser Flut an neuen Patienten stehe den Kliniken „wohl erst in zehn, zwölf oder vierzehn Tagen“ ins Haus.