Schweden ist derzeit laut EU-Statistik das einzige Land der Union, in dem seit Sommerbeginn die Zahl der wöchentlichen Corona-Neuinfektionen pro Kopf kontinuierlich rückläufig ist. Genau erklären können sich die Experten in Stockholm dieses Phänomen auch nicht. Sie sehen darin aber eine Bestätigung der auf Langfristigkeit angelegten nationalen Covid-Strategie.

Mitte Juni war Schweden mit 67,4 wöchentlichen Covid-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner noch Schlusslicht in der EU. Österreich verzeichnete damals moderate 2,4 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Mitte September hat sich das Bild umgedreht. Während in Österreich die Zahl 36,5 immer mehr andere Länder veranlasst, eine Reisewarnung nach Österreich auszugeben, liegt Schweden mit einer Neuinfektionszahl von 14,3 im unteren Drittel der EU.

Kein Lockdown, Schulen blieben zum Teil offen

Schweden wählte zu Beginn der Pandemie im März einen von den meisten anderen Ländern unterschiedlichen Ansatz. Im Gegensatz etwa zu Österreich verzichteten die Schweden auf einen förmlichen Lockdown und weitgehend auf gesetzlich oder per Verordnung verankerte Vorschriften und Verbote. Lediglich für Gastronomie, Altersheime und die Anzahl von Personen bei Versammlungen gab und gibt es zum Teil weiterhin verbindliche Regeln.

Schweden hielt während der gesamten Zeit hindurch die Schulen für Unter-16-Jährige offen. Zuletzt öffneten auch wieder Gymnasien und Universitäten. Auch das Besuchsverbot in Altersheimen fällt am 1. Oktober und weicht einer Empfehlung, entsprechende Vorsicht walten zu lassen. Auch anders als praktisch überall anders verzichtete Schweden zur Gänze darauf, Mund-Nasenschutz in der Allgemeinheit auch nur zu empfehlen und begründete dies mit der dünnen Evidenzlage bezüglich der Frage, ob ein solcher effektiv die Verbreitung eines Virus verhindern kann.

Auch anders als in vielen anderen Staaten hielt sich die Politik aus dem operativen Corona-Management weitgehend heraus und überließ die der Bevölkerung "dringend empfohlenen" Maßnahmen und Verhaltensregeln einem Komitee von Experten unter der Leitung von "Staatsepidemologe" Anders Tegnell, der international bald zur Ikone des "Schwedischen Modells" wurde. Laut Untersuchungen hielten sich rund 90 Prozent der Schweden an die Empfohlenen Verhaltensregeln.

Scharfe Kritik bei Mängel in der Altenpflege

Als die Zahl der Corona-bedingten Todesfälle in Schweden im April sprunghaft anstieg und das Land europaweit die vierthöchste Ziffer verzeichnete, regte sich international und im eigenen Land teils scharfe Kritik an der vermeintlich laschen Vorgangsweise der schwedischen Verantwortlichen.

Diese machten Mängel und Fehler in der Altenpflege für die hohen Todesziffern verantwortlich ein leiteten verschiedene Maßnahmen wie eine gezielte Testungskampagne von Pflegepersonal in besonders kritischen Institutionen ein. Offenbar mit Erfolg, denn die Kurve der neuen Todesfälle flachte ab und glich sich jener der meisten europäischen Staaten an.

Tegnell rechnet nicht mit "zweiter Welle"

Chefepidemiologe Tegnell fühlt sich angesichts der seit Juni anhaltenden Entwicklung in Schweden bestätigt. In einem Interview mit dem Sender France-24 vergangene Woche sagte Tegnell, man sei insgesamt mit dem eingeschlagenen Weg in Schweden zufrieden. "Am Ende wird man sehen, wie viel Unterschied es gemacht haben wird, eine nachhaltige Strategie gewählt zu haben, die lange Zeit durchgehalten werden kann anstatt einer, wo man immer und immer wieder zusperrt, aufmacht und wieder zusperrt. Im übrigen rechne er nicht mit einer "zweiten Welle" in Schweden sondern lediglich mit lokalen Ausbrüchen, die jedoch gemeistert werden könnten.

"Zu früh" für Ländervergleich

Die Prognosen der schwedischen Wirtschaft sind jedenfalls weniger schlecht als die der meisten anderen EU-Mitglieder. Eine Ende Juli veröffentlichte Studie der britischen Analysefirma Capital Economics attestierte den Schweden, mit ihrer Taktik die durch die Pandemie bedingte Wirtschaftsflaute bisher am besten gemeistert zu haben.

Zu einem ähnlichen positiven Schluss kommt auch eine Ende August auf dem Forschungsportal ScienceDirect veröffentlichte politische Analyse und verweist darauf, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO die schwedische Corona-Strategie als Zukunftsmodell vorgeschlagen hat.

Während Tegnell selbst vorsichtig bleibt und in einem TV-Interview am Freitag betonte, es sei noch zu früh, einen Ländervergleich zu ziehen, lobte der Chef der schwedischen Gesundheitsbehörde, Johan Carlson die Disziplin der eigenen Bevölkerung. Diese habe die "klaren Botschaften" der Behörden ernst genommen und so bewiesen, dass die gewählte Strategie die Richtige gewesen sei.