An diese Art von Welt haben wir uns über die Jahrzehnte gerne gewöhnt: Wir reisen, wohin wir wollen. Privatleben und Freizeitgestaltung kennen keine Schranken. Die Globalwirtschaft liefert uns alle Waren zu allen Jahreszeiten in gleichbleibender Qualität und zu erschwinglichen Preisen. Es gibt nichts, was es nicht gibt.

Existenzielle Risiken sind weitgehend unbekannt, und wo sie dennoch auftreten, sichert uns ein Vollkasko-Staat dagegen ab. Das Spital hat 24 Stunden geöffnet. Bei Bergnot oder Herzinfarkt fliegt der Hubschrauber, bei Blitz und Blechschaden zahlt hoffentlich die Versicherung.

Bei Krankheit, Firmenbankrott, Arbeitslosigkeit oder wenn der Hagel die Ernte vernichtet, gibt es Geld vom Staat. Geht die Bank pleite, dann werden die Spareinlagen ersetzt. Darauf haben wir Anspruch. Wir holen uns, was uns zusteht. Wir sind sorglos eingebettet ins Land der Berge: Es gibt gewaltige Anspruchsberge auf der einen Seite und stattliche, staatliche Schuldenberge auf der anderen.

Ein gutes Leben

Es ist ein gutes Leben – ein Leben, auf das wir stolz sein können. Es hat uns in den Konsumstaaten der westlichen Hemisphäre so nahe ans Paradies zurückgebracht, wie es auf dieser unvollkommenen Erde nur geht. Denn unser Kompass war immerzu und unbeirrbar gepeilt auf die Leichtigkeit des Seins und auf die klassische Formel des hedonistischen Utilitarismus: Angestrebt wird das größte Glück für die größte Zahl von Menschen. Auf diesem Weg haben wir gleichsam die Quadratur des Kreises aus Freiheit und Sicherheit erreicht: Jeder darf alles machen, aber keiner muss etwas riskieren. Selbstverantwortung bleibt zwar ethisch erwünscht, ist aber nicht mehr zwingend notwendig. Denn auch dem Leichtsinnigen wird geholfen.

Die Erwartung, es werde ewig so weitergehen, wurde durch die Corona-Pandemie gründlich erschüttert. Zwar haben in der ersten Phase des „Lockdowns“ die gewohnten Mechanismen geschmeidig funktioniert: Niemand braucht Federn zu haben, alles wird abgefedert. Der Staat finanzierte umfassende Kurzarbeit und offerierte sogleich einen Corona-Hilfsfonds, einen Härtefallfonds, einen Familienhärtefallfonds, einen Fixkostenzuschuss, ein Wirtshauspaket, ein Kulturpaket und so weiter.

Wie geht es weiter?

Doch nach der Zündung des Hilfsfeuerwerks stehen wir jetzt betrübt vor den rauchenden Abschussrohren. Das Pulver ist verschossen, die Beklemmung bleibt. Denn wie geht es weiter? Es beschleicht uns der Verdacht, dass die vermeintlich immerwährende Schönwettergarantie ein Ablaufdatum haben könnte. Folglich greift die erste allgemeine Verunsicherung um sich. Das Bedürfnis nach Abgeltung, nach Schadloshaltung, nach Belohnung ist groß: Ärzte, Pflegekräfte und Supermarkt-Heldinnen sollen prämiert werden. Wer Maske tragen muss, soll mehr verdienen. Und ein Tausender extra für jeden Arbeitnehmer wäre auch nicht schlecht.

Corona sei eine Zumutung, formulierte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, und sie hat recht: Plötzlich wird uns zugemutet, dass nicht mehr alles berechenbar ist. Dass es nicht auf alles sofort eine Antwort und für alles eine technische Lösung gibt. Das ist neu, und deshalb ist die Ungeduld groß: Eine Impfung muss her, ein Medikament muss her. Die Krankheit hat gefälligst beseitigt zu werden.

Die Verschwörungstheorien

Um die Wartezeit zu überbrücken, stehen uns unterschiedliche Wege zur Verfügung. Man kann sagen, dass Corona eh nur eine Grippe ist. Man kann nach Schuldigen suchen: in China, in biotechnischen Labors, bei Bill Gates oder bei den Fledermäusen. Man kann sich selbst für unverwundbar erklären und die neuen Verhaltensregeln nach Kräften ignorieren. Das alles in der Hoffnung, die lieben Gewohnheiten in die Zukunft zu retten. Und weiter nach der geheiligten Maxime zu leben, dass die Freiheit auch unter den Wolken grenzenlos ist.

Man sollte indes meinen, dass es in einer Überflussgesellschaft auch anders ginge. Denn es ist zwar lästig und schmerzhaft, wenn alle plötzlich ein bisserl weniger haben. Aber die ganz große Katastrophe ist es nicht. Gewiss - der Wirtschaftseinbruch ist dramatisch, nicht wenige haben jetzt ihre Existenz verloren oder wurden aus der Bahn geworfen. Viele blicken mit leeren Händen in eine ungewisse Zukunft. Aber beileibe nicht alle. Deshalb erscheint die Aufgabe bewältigbar.

Flügel stutzen, Ärmel aufkrempeln

Jene, denen es noch relativ gut geht, könnten ihre Flügel stutzen und ihre Pläne zurückschrauben. Jeder könnte überlegen, was er zusätzlich beitragen, wo er sich mehr als bisher anstrengen kann. Dann wäre noch immer für alle mehr als genug da. Und dann könnte die Zuversicht wachsen, dass wir weiter gut leben werden, obwohl wir beim Bananeneinkauf Masken tragen, im Restaurant einen Tisch zugewiesen bekommen und nicht mehr nach New York zum Weihnachtseinkauf fliegen oder zum Golfen nach Südafrika.

Aber es scheint da ein Problem zu geben: Das Verteilen von Lasten wird als Kulturbruch erlebt. Mehr noch: Die Politik selbst ist nicht bereit, sich dieser Aufgabe zu stellen. Die Politiker klammern sich lieber an die alte Wohlstandserzählung und verkünden das bequeme Versprechen: The show must go on. Deshalb appellieren sie nicht an unsere Tatkraft oder gar an unsere Verzichtsbereitschaft, sondern bescheinigen uns amtlich den Opferstatus und rufen uns zu: Frage nicht, was du für dein Land tun kannst, sondern frage, was dein Land für dich tut.

Mangel haben wir nie erlebt

Das fällt auf fruchtbaren Boden, weil es sich mit unseren Wohlstandserwartungen deckt. Dass fast alle hier lebenden Generationen noch nie Mangel erleben mussten, ist zwar ein großes Glück. Aber der Übergang von Sorgenfreiheit zu Sorglosigkeit ist fließend. Es ist ja schon seit Langem unglaublich unmodern, auf etwas zu verzichten, auf etwas zu warten, Vorräte anzulegen oder Reserven für Notzeiten zu bilden. Sparen ist nur mehr was für Verrückte, denn die Zinsen werfen nichts ab. Lagerhaltung ist viel zu teuer. Der Paketbote liefert alles sofort.

Wir könnten aber lernen, mit Corona besser zu leben, indem wir die Dimensionen zurechtrücken und unsere schlummernden Resilienzreserven heben. Dazu gehört die Erkenntnis, dass wir fähig sind, Krisen ohne Vormundschaft zu meistern. Eine Gesellschaft der Tatkräftigen und Zuversichtlichen wäre zu guter Letzt auch weniger anfällig für Irreführungen aller Art.