Langsam, sehr langsam kehrt das Leben in die Millionenstadt Mailand wieder zurück. Die einstige Hektik ist noch nicht zurück. Die lombardische Metropole und die gesamte Region war mit 17.000 Toten am stärksten von der Seuche betroffen. Obwohl sich die Situation beruhigt hat, sitzt der Schrecken den Mailändern noch tief in den Knochen. Zwar ist die Maskenpflicht im Freien seit Wochen aufgehoben, ein Großteil der Mailänder trägt aber weiterhin Mund-Nasen-Schutz.

Im Modeviertel der Designerstadt, rund um Montenapoleone, herrscht wieder Leben. Doch die Geschäfte der großen Modedesigner bleiben leer. Obwohl Preisnachlässe zwischen 50 und 90 Prozent locken. Die Asiaten fehlen, heißt es bei Giorgio Armani. Die Devise lautet heute Online-Shopping.

Auch im City Restaurant Al Mercante, nahe dem Domplatz, zeigt sich Restaurantbesitzerin Simona pessimistisch. „Wir haben unsere Plätze im Freien aufgestockt und zählen auf unsere Stammkunden. Von ausländischen Gästen ist jedoch keine Spur.“ So bleibt das Restaurant auch Samstag und Sonntag zu Mittag geschlossen. „Der durch die Pandemie, durch den Lockdown verursachte Geschäftsverlust wird erst langfristig überwunden werden.“ Knapp 90 Prozent aller Mailänder Hotels sind noch geschlossen.

Krise in der DNA

Auch Bob Kunze-Conzewitz, der aus Österreich stammende Chef der Mailänder Kultfirma Campari, bestätigt der Kleinen Zeitung, dass sich der Konsum von Aperitifs erst langfristig auf das „Vor-Pandemie-Niveau“ einpendeln werde. Doch der Manager greift auf das Erfolgsrezept zurück, mit dem Campari sämtliche Krisen der vergangenen Jahre meisterte. Wachstum durch Akquisitionen. Der Aperitif-Hersteller Campari hat im Mai 2020 die Mehrheit der französischen Champagner-Firma Maison Lallier erworben.

Die Mailänder haben es in ihrer DNA, mit Krisen umzugehen. Durch neue Initiativen soll hier das Wachstum im laufenden Jahr 2020 „nur“ sieben Prozent gegenüber knapp zwölf Prozent landesweit zurückgehen. Im Fokus steht zurzeit das Ambiente. Durch eine strikte Änderung der Verkehrsstrukturen, durch die Errichtung von 35 Kilometern neuer Fahrradwege und die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h in zahlreichen Straßen der Stadt soll die Luftverschmutzung verringert werden.

Der Plan stößt auf Widerstand bei den Taxifahrern. Vor allem die Elektro-Roller sind ihnen ein Dorn im Auge. „Über hundert Unfälle hat es damit bereits gegeben“, schimpfte mein Taxifahrer auf dem Weg zum Bahnhof.
Doch die City Scooter prägen derzeit das Stadtbild. Bereits um acht Uhr früh sieht man smarte Jungmanager auf ihren Rollern zu ihren Büros im Stadtzentrum flitzen. Das ist derzeit cool. Noch dazu fördert die Regierung den Kauf von Scootern. Autos, vor allem die bislang beliebten Geländewagen, bleiben vorerst in der Garage. „Ich bin neuerdings von einer unglaublichen Ruhe umgeben“, freut sich Giacomo Held, Art-Direktor einer bekannten Werbefirma. Kein Auto- und Motorradlärm, keine Sirenen der Ambulanzen. Von Heimarbeit habe er jedoch die Nase voll. Ihm fehlen die unbedingt nötigen sozialen Beziehungen, die für seine Arbeit das „Um und Auf“ seien. Derselben Ansicht ist übrigens auch Bürgermeister Giuseppe Sala, der bereits für Herbst Initiativen ankündigte, damit die Mailänder wieder ins Büro zurückkehren.

Neue Normalität

Einig sind sich alle darüber, dass die neue Normalität nichts mit der Vergangenheit zu tun habe. Der Urbanistik-Plan fokussiert auf Innovation und Umweltschutz, auf neue Verkehrsstrukturen, Öko-Architektur und Digitalisierung. Damit will Mailand Vorzeigemodell der weltweiten Metropolen werden.

Dass den Kreativen Mailands die Zukunft gehört, geht auch deutlich aus dem von der österreichischen Wirtschaftsdelegierten in Mailand, Gudrun Harrer, kürzlich veranstalteten Webinar über die Kreativwirtschaft hervor. Teilnehmende Firmen, wie etwa Isinnova, bestätigen einen dadurch erzielten Nachfrageboom nach ihren neuen Produkten, etwa Hightech-Fahrrädern und Beatmungsgeräten.

Der Weg zur neuen Normalität wird jedoch durch die sich anbahnende regionale Politkrise erschwert. Dreißig Jahre nach der berüchtigten „Mani pulite“-Aktion, als Mailänder Richter Korruptionspraktiken im ganzen Land aufdeckten, ermittelt die Justiz nun gegen den von der rechtspopulistischen Lega gestellten lombardischen Regionalpräsidenten Attilio Fontana. Er steht nicht nur im Verdacht des Missmanagements im Umgang mit der Pandemie. Gegen ihn wird auch wegen Vetternwirtschaft ermittelt. Er habe seine Position genutzt, um seiner Familie lukrative Aufträge während der Coronakrise zuzuschanzen. Ins Visier der Justiz sind auch seine Konten in der Schweiz geraten.