Blickt man in die USA, nach Italien, Frankreich, Spanien, auch Belgien, Holland, Schweden, sieht es so aus, als ob Österreich Covid-19 – derzeit – unter Kontrolle hätte. Grauenhafte Berichte von überforderten Ärzten aus Spitälern oder apokalyptische Drohnenaufnahmen vom Aushub von Massengräbern sind uns erspart geblieben. Woran liegt es? An der Regierung? Am vorbildhaften Verhalten der Österreicher? Oder an den Virologen?

Österreich war eines der ersten europäischen Länder, das abgesehen von Italien und Dänemark drakonische Maßnahmen ergriffen hat. Viele Länder folgten dem österreichischen Modell, Deutschland erst mit einwöchiger Verzögerung. Zwei Personen waren es, die Bundeskanzler Sebastian Kurz im Februar für Corona sensibilisiert haben: sein außenpolitischer Pressesprecher Etienne Berchtold, der im Zuge seines nahezu minütlichen Studiums der internationalen Medien bald erkannt hat, dass Corona kein asiatisches Problem bleibt.

Sebastian Kurz
Sebastian Kurz © APA/HELMUT FOHRINGER

Und ein Telefonat mit Israels Premier Benjamin Netanjahu, der Anfang März einen Einreisestopp für Europäer verfügt hatte, obwohl es in Israel noch keinen einzigen Toten gab. Auch bei Gesundheitsminister Rudi Anschober waren es weniger die heimischen Virologen, die den Anstoß gaben, sondern die morgendliche Lektüre der Blogs von lombardischen Ärzten und Pflegern über den Ausnahmezustand in Bergamo und Cremona. „Mir war schnell klar, dass auch wir vor solchen Zuständen nicht gefeit sind.“

Krisenstab tagte

Am 24. Februar tagte erstmals der Krisenstab, und es entspricht der inneren Verfasstheit unserer komplizierten Republik, dass sich bald drei Krisenstäbe herauskristallisieren sollten: beim Kanzler, im Innenministerium, beim Gesundheitsminister. Als die Fälle in Tirol, insbesondere in Ischgl, explodierten, zog Österreich als eines der ersten Länder die Notbremse und verordnete den Lockdown. „Uns war bald bewusst“, so Anschober, „wenn wir nicht sofort handeln, nimmt das Virus an Fahrt auf und dann ist die Kurve fast nicht mehr zu stoppen.“ Ein Minister spricht von der „Gnade der Nachzügler“. Der aufmerksame Blick nach Italien habe Österreich vor dem Schlimmsten bewahrt.

Rudolf Anschober
Rudolf Anschober © APA/HERBERT-PFARRHOFER

Während in Deutschland die Virologen durch die Talkshows tingeln und das Feuilleton die Vorherrschaft der „Virokratie“ beklagt, bleiben in Österreich die Experten im Hintergrund. Türkis-grüne Message Control oder Ausfluss einer professionellen Krisenkommunikation, die keine Grauschattierungen zulässt? Kurz berät sich mit der Virologin Elisabeth Puchhammer, der Immunologin Ursula Wiedermann, dem Rektor der MedUni Wien Markus Müller, den Medizinern Oswald Wagner und Hans-Peter Hutter. Anschober hört auf die Virologen Herwig Kollaritsch und Elisabeth Puchhammer, den Chef der Innsbrucker MedUni Günter Weiss, Rotkreuz-Kommandant Gerry Foitik sowie Herwig Ostermann und Bernhard Benka.

Krach zwischen Kurz und Anschober

Über Differenzen dringt wenig nach außen. Zwischen Kurz und Anschober krachte es wiederholt wegen des anfänglichen Zahlenchaos und der Frage, ob man sich bei der Kommunikation an der Zahl der Infizierten oder jener der Toten und Schwererkrankten orientieren soll. Innerhalb der Expertenstäbe wurden heftig die Sinnhaftigkeit der Schulschließung und die Maskenpflicht debattiert. „Fragt man drei Experten, bekommt man vier Antworten“, so ein Insider zum Dilemma.

Kaum hatten Kurz und Anschober erste Lockerungen ab Osterdienstag verkündet, rief CNN beim Gesundheitsminister an. Ob Österreich als globale Blaupause für den sehr langen Weg zurück zur Post-Corona-Normalität tauge? Die Angst, durch Lockerungen eine zweite Coronawelle auszulösen, ist größer als das Aufatmen über den Status quo. Wie sagte unlängst der bekannteste Corona-Experte im deutschen Sprachraum Christian Drosten: So zufällig, wie sich eine Handvoll geworfener Kieselsteine verteilen würde, verlaufe die Verbreitung des Coronavirus. „Wir stehen immer noch ganz am Anfang der Epidemie.“