Das nahende Osterfest wird für die Bevölkerung zur großen Bewährungsprobe und existenziellen Verzichtsübung. Auf diesen Nenner lässt sich eine Expertenstudie der Universität Wien bringen, die der Regierung als Entscheidungsgrundlage dient und der Kleinen Zeitung vorliegt. In der mehrseitigen Expertise, datiert vom 30. März, wird gleich im ersten Absatz unter dem Titel „Fakten“ Klartext gesprochen. Es geht um die Abwehr Tausender Todesopfer.

Wie viele werden angesteckt?

Dreh- und Angelpunkt für die Einschätzung der Wissenschaftler ist der Replikationsfaktor (R0). Er beziffert die Anzahl von Personen, die ein Infizierter im Durchschnitt ansteckt. Noch vor wenigen Tagen betrug diese Zahl 1,7, das entsprach einem Anstieg der (getesteten) Infektionen von 14 Prozent. Die Steigerung konnte zwar auf unter 10 Prozent gedrosselt werden, die Lage bleibt aber „hoch sensitiv“, wie es ein Mitglied des Krisenstabs ausdrückte. Erlitte das Land durch gelockerte Zügel in der Karwoche einen Rückschlag, hätte dies dramatische Folgen.

Wörtlich heißt es in der Studie: „Wenn es nicht gelingt, den Faktor R0 unter den Wert von 1 zu drücken, sind in Österreich Zehntausende Tote und ein Zusammenbruch des Gesundheitssystems zu erwarten.“ Das käme italienischen Verhältnissen gleich. Zwar bewegt sich Österreich von ihnen weg, bleibt aber an der Peripherie der Gefahrenzone. „Es ist eine zittrige Zuversicht spürbar, bei viel Ungewissheit“, beschrieb ein Insider die fragile Lage.

Unschärfen

Knapp über 11.000 Personen waren gestern als infiziert gemeldet (plus 7 Prozent), 230 befanden sich in Intensivstationen (plus 5 Prozent), 158 ließen bisher ihr Leben (plus 16 Prozent). Sie starben an oder mit Corona. Auch da bleiben die Unschärfen.

Der Replikationsfaktor liegt damit bei knapp über 1, nah an der Zielmarke. Bliebe er dort eingefroren, käme man mit den vorhandenen Intensivkapazitäten (2500 Betten) zurande. Dieses optimistische Szenario, unterlegt mit dem Konjunktiv, würde noch immer 6000 Todesfälle bis zum Spätherbst bedeuten. Die Prognose geht aus Berechnungen der Studie hervor, als milde Möglichkeitsform des Schreckens, der jederzeit ins Monströse kippen könne.

Der Kippeffekt

Dieser Kippeffekt ist es, der im Expertenstab der Regierung im Vorfeld der Feiertage bange Gefühle hervorruft. Zwar zeigen die Bewegungsprofile eine anhaltend hohe Rückzugsquote von 95 Prozent, man befürchtet aber ein „österliches Ausbrechen“ durch den Sog des christlichen Festes, das auch in der religiös entkernten Form ein Fest der Familien, des Brauchtums und des Naturerlebnisses geblieben ist. Gegen diese Anziehungskraft müssen jetzt die offiziellen Mahnungen in Stellung gebracht werden. In Regierungskreisen griff man zu Metaphern aus der Militärsprache: Man setze alles daran, „die Moral der Truppe“ aufrechtzuerhalten. Die Truppe, das ist das loyale Heer der Bürger, die Moral, das sind Gemeinsinn und Vernunft.

Keine Familientreffen!

Auf beide Tugenden will man die Bevölkerung einschwören: Keine Familientreffen! Keine Ausflüge! Die Autoren der Studie plädieren dafür, an den Maßnahmen nicht nur festzuhalten, sondern sie zu verschärfen. Die Vorschläge: strenge Kontrolle der Supermarktkunden durch Sicherheitskräfte, systematisches Testen des medizinischen Personals und Tracking (Nachzeichnen) der Kontakte von Infizierten mittels Handydaten.

Wenig Vorfreude löst in der Regierung die Wetterprognose aus. Es soll frühsommerlich warm werden: erschwerte Bedingungen für die große österliche Bewährungsprobe.