Millionen TV-Sehern stockte der Atem, als der Hamburger Strafrechtler Reinhard Merkel am Dienstag bei "Markus Lanz" im ZDF jene drei Horroszenarien durchdeklinierte, mit denen sich der Deutsche Ethikrat auf Basis der schrecklichen Ereignisse in italienischen und französischen Intensivstationen befasst hat: In einem Spital werden fünf Corona-Patienten, die unter schwerer Atemnot leiden, eingeliefert, die Station verfügt über drei Beatmungsgeräte. Wer wird intubiert? Zweites Szenario, das in Bergamo zum Alltag gehört: Alle Beatmungsgeräte sind von 80-Jährigen belegt, es wird eine 30-jährige Mutter zweier Kinder eingeliefert. Darf ein Patient extubiert werden? (Ist nicht erlaubt). Dritte Szenario, das im Elsass an der Tagesordnung steht: Damit ein Spital nicht in eine solche Zwangslage gerät, werden ältere Patienten nicht mehr intubiert, sondern nur noch palliativ behandelt.

Mit solchen  Grundsatzfragen hat sich die im Kanzleramt angesiedelte Bioethik-Kommission befasst. Christiane Druml, Chefin der Kommission, bestätigt im Gespräch mit der Kleinen Zeitung, dass das Gremium „ethische Richtlinien“ für den Fall, dass in heimischen Spitälern der Normalzustand nicht mehr aufrechterhalten kann, ausgearbeitet hat. In Regierungskreisen rechnet man damit, dass um den Ostersonntag herum die Kapazitätsgrenzen überschritten werden, zuerst in Tirol, mit dreitägiger Verzögerung im restlichen Land. Über den Inhalt des Papiers bewahrt Druml Stillschweigen. Wann bzw. ob die Richtlinien veröffentlicht werden, ist unklar und liegt im Ermessen der Regierung.

"Alter darf kein alleiniges Kriterium sein"

Nur so viel ist der Chefin des Lehrstuhls für Bioethik zu entlocken: „Das Alter darf kein alleiniges Kriterium sein.“ Auf 80-Jährige in der Debatte abzuzielen, hält Druml für unethisch und unverantwortlich. Kommt ein Patient auf die Intensivstation, werde das Therapieziel definiert und eine Prognose erstellt. „Die kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit ist der wesentliche Punkt.“ Die Erstellung der Prognose hänge von drei Faktoren ab: „Von der Schwere der Erkrankung, der körperlichen Verfasstheit, dem Grad der Vorerkrankung.“ 

Die Bioethikerin hofft, dass solche Extremsituationen, wie von den deutschen Kollegen beschrieben und aus Italien oder Frankreich berichtet, nicht auftreten, sofern die Gesundheitsbehörden oder die Spitalsverwaltungen entsprechende Vorkehrungen treffen. In Frankreich  werden in der Zwischenzeit Patienten aus dem Elsass mit Hochgeschwindigkeitszügen in Spitäler in andere Landesteile gebracht, um für eine regionale Entlastung zu sorgen. In den USA wird etwa ein Teil der Beatmungsgeräte vom Bund als strategische Reserve zurückgehalten, um punktuell in Spitälern, die von Corona-Erkrankten gestürmt werden, zum Einsatz zu kommen.