Ungarn und Österreich sind eng befreundet, aber es geht ihnen ein wenig wie derzeit engen vielen Freunden in Zeiten des Coronavirus: Sie haben Angst, sich anzustecken. Ungarn hat seine Grenze im Personenverkehr für Ausländer geschlossen. Ungarische Staatsbürger werden eingelassen, müssen aber gewärtigen, in Quarantäne zu kommen.

Die Grenzschließung gilt nicht nur für die Einreise, sondern in beide Richtungen - mit teilweise absurden Ergebnissen. Da zwischen Verkündung und Umsetzung der Maßnahme weniger als 24 Stunden verstrichen, waren Tausende Ausländer, die in Österreich leben und arbeiten und sich gerade auf der Durchreise in ihre Heimat oder von dort zurück nach Österreich befanden, buchstäblich in Ungarn gefangen.

Manche wurden von Grenzpolizisten aus Zügen und Bussen geholt, andere blieben mit ihren Autos an der Grenze hängen. Buchstäblich Tausende, vor allem Ungarn und Bulgaren, aber auch Rumänen und Serben beiderlei Geschlechts. Nicht wenige arbeiten in Österreich in der Pflege oder als Ärzte in Krankenhäusern. Um die Sperre zu umgehen, erwägt die türkis-grüne Regierung offenbar, die Pflegekräfte über den Luftweg als Ausweichroute nach Österreich zu bringen. Das erfuhr die Kleine Zeitung am Dienstag.

Keine gezielte Suche nach Pflegekräften

Das Chaos um die  Grenzsperre hatte zu einem Bericht im „Kurier“ geführt, Ungarns Polizei würde gezielt Pflegekräfte auf der Reise nach Österreich „festnehmen“. Das stimmt so nicht, und die Regierung von Viktor Orbán in Budapest teilte am Dienstag mit, man wolle die Grenze um 21 Uhr für kurze Zeit öffnen, um diesen Ausländern die Rückreise nach Österreich oder in ihre Heimatländer zu ermöglichen.

Viele Ungarn arbeiten in Österreich, besonders im Gesundheitsbereich: Laut Nachrichtenagentur APA sind 23 Prozent der Ärzte im Krankenhaus Güssing ungarische Staatsbürger mit Hauptwohnsitz in Ungarn. Österreich muss also fürchten, wichtige Fachkräfte zu verlieren; Ungarn hingegen riskiert über den Pendlerverkehr die noch schwach entwickelte Epidemie im eigenen Land (gestern erst 50 Fälle) zu verschärfen.

So berichtete das regionale Nachrichtenportal veol.hu von zwei Männern in Westungarn, die in Österreich arbeiten und in Ungarn jetzt als infiziert diagnostiziert wurden. Der eine war übers Wochenende nach Hause nach Veszprém gefahren, wurde dann aber krank und am Montag mit 40 Grad Fieber und Coronavirus-Symptomen ins Krankenhaus gebracht. Der andere, auch in Veszprém wohnhaft, hatte „in einem österreichischen Ski-Ort“ gearbeitet und war nach dessen Schließung heimgekehrt.

Politisches Ping-Pong

Dass die ungarische Regierung besonders hart reagiert, ist teilweise wohl der Opposition zu “verdanken”. Wie überall versuchen Regierung wie Opposition die Krise zu nutzen, um bei den Wählern zu punkten. Ministerpräsident Orbán ging dabei taktisch früh in Führung, indem er persönlich am 4. März die ersten beiden Coronavirus-Infektionen bekanntgab und auch danach immer “von vorne” führte, Präsenz zeigte, die politische Kommunikation dominierte.

Er scheiterte aber beim Versuch, auch die Wirtschaft zu schützen und in diesem Rahmen, wie auch England, vorerst auf Schulschließungen zu verzichten. Diese eine Maßnahme ist ein Wirkungstreffer für die Unternehmen, deren Mitarbeiter plötzlich zuhause auf die Kinder aufpassen müssen. Der Druck der Oppositionsparteien und Lehrergewerkschaften aber zwang Orbán, innerhalb eines Tages seine Haltung zu ändern - so rasch, dass die Regierungsmedien die Kurve nicht schnell genug nehmen konnten und an dem Abend, als er die Schulschließung verkündete, aufwändig erklärten wieso das eine ganze falsche Entscheidung sei.

Dann stellte sich Budapests Oberbürgermeister Gergely Karácsony, Orbáns großer Rivale, vor die Kameras und gab sich noch härter - er schloss in der Hauptstadt auch die Krippen und Kindergärten, Kinos und Theater. Gut denkbar, dass Orbáns Grenzschließung, die für so viele Probleme sorgt, ein Versuch war, entschlossener aufzutreten als Karácsony.

Beschaulich, aber chaotisch

Insgesamt  ist die Lage in Ungarn, vom administrativen Chaos abgesehen, noch eher beschaulich. Am Dienstag waren „nur” 50 Infektionen gemeldet. Die Behörden teilten aber mit, die Epidemie habe jetzt die “zweite Phase” von dreien erreicht, und dass höhere Infektionszahlen zu erwarten seien.

Wie in Österreich sind Schulen, Universitäten und viele Geschäfte geschlossen, Restaurants und Kaffeehäuser dürfen nur bis 15 Uhr geöffnet bleiben. Viele haben deswegen ganz geschlossen. Der Online-Handel der Supermarktketten ist überfordert, aber die Geschäfte selbst sind vorerst gut mit Waren gefüllt. Nach den Hamsterkäufen der letzten Woche sind dort aber nur wenige Kunden.

Schlecht geht es der Wirtschaft: Tourismus und Autoindustrie sind die zwei ökonomischen Lungenflügel des Landes. Der Tourismus ist komplett eingebrochen, und am Dienstag wurde bekannt, dass die Audi-Fabrik in Gyor ihre Produktion am Montag einstellen wird.