Liebe User!

Zwei Geburtsmythen begleiten das Internet bis heute. Beide sind ideologisch durchtränkt. Der eine Mythos ist der Mythos der Anonymität. Er legitimiert das freie Reden mit Maske und Mundschutz. In Diktaturen ist dieser Mythos ein Segen. Er schützt die Meinungsfreiheit und bedroht die Mächtigen. Das ist super. In aufgeklärten Demokratien, in denen Kinder ab dem ersten Milchzahn lernen, zur eigenen Meinung offen zu stehen, schützt diese Anonymität die Freiheit der Feigheit und bedroht den Charakter. Das ist weniger super. Die verherrlichte Anonymität stimuliert das Niedere im Menschen: den Hass, die Schmähung, die Denunziation.

So viel zum einen Mythos.

Der andere Gründungsmythos der Digitalisierung ist der Mythos des kostenlosen, freien Zugangs. Nennen wir ihn den Freibier-Mythos. Auch der ist durchtränkt mit Ideologie. Er dient angeblich der Demokratie, der Veredelung des Menschen durch den kostenlosen und schrankenlosen Transfer von  Wissen und Bildung. In Wahrheit bedroht der Mythos tendenziell die Demokratie, weil er die etablierten freien Medien wirtschaftlich in den Ruin treibt. Die, die selbstruinös und triebhaft an der alten Ideologie kleben, gefesselt im eigenen Dogmen-Kerker, sind mit ein- und denselben Inhalten einmal Gratiszeitung und dann Kaufzeitung. Die Absurdität dabei ist, dass die Inhalte digital kostenfrei vor den vergebührten verfügbar sind: gratis vor Anbruch der Nacht, als gedrucktes Abo-Angebot am Morgen danach. Eine solche Strategie führt irgendwann ins wirtschaftliche Nirwana. Ein BWL-Bachelor ist für diese Erkenntnis nicht zwingend notwendig.

Das war der Grund, warum wir Ende 2016 im Verlag beschlossen haben, dass wir diesen Weg, den Weg der edelmütigen Selbstabschaffung, perspektivisch nicht sehr sexy finden. Für uns nicht und für die Leser nicht. Wir haben begonnen, einen Teil der Inhalte zu schützen. Es sind multimediale Inhalte (Text, Ton, Bewegtbild) abseits der Presseagentur. Die sind zwar auch wertvoll, zum einen, weil wir viel Geld für den jährlichen Bezug zahlen, und zum anderen, weil die Kollegen und Kolleginnen der APA hochwertigen Inhalt herstellen, aber die anderen haben den Inhalt halt auch, weil sie auch Kunden der APA sind. Daher verlangen wir für den Inhalt nichts, obwohl uns der Inhalt viel kostet und viel wert ist.

Für alle anderen digitalen Inhalte verlangen wir was, zum Beispiel für die vertiefenden Inhalte und alle Inhalte unserer 18 Regionalredaktionen und die der Wiener Redaktion, der 19. In den sozialen Medien werden wir deshalb seit Tagen geschmäht. Auch von Kollegen, etwa des ORF, der auf der Website Freibier anbieten kann, weil er das Freibier mit den mehr als 600 Millionen Fernsehgebühren tiefenentspannt gegenfinanzieren kann. Das hilft bei der Schmähung.

Es sei ganz übel, dass wir nicht alle Corona-Inhalte frei zugänglich machen, heißt es in den Foren. Wir schlügen „Kapital aus der Krise“.

In unserer Wahrnehmung tun wir das nicht. Es ist kein „Kapital‘“ im Spiel. Wir sind schlechte Kapitalisten. Die Paywall ist keine. Niemand muss einen Cent in die Hand nehmen, um die Wand zu überwinden. Man muss nur seine Identität bekannt geben und kann einen Monat lang alle Corona-Inhalte beziehen.

Alle heißt alle.

Wer danach nicht mehr will, auch okay. Freundlich nein zu sagen ist ein Menschenrecht. Respektieren wir.

Aber wir finden auch: Beziehungen ohne Austausch der Identität ist öd. Im privaten Leben wie im Geschäftsleben. Wir möchten halt gern wissen, wer am anderen Ende ist, um ohne Nötigung herzuzeigen, wer wir sind und was wir publizistisch sonst noch tun, von sechs Uhr früh bis Mitternacht: auf der Website. Auf der Update-App. Mit den täglichen Live-Übertragungen. Den Podcasts. Den Push-Nachrichten. Den vielen Newslettern. Der elektronischen Morgenpost.

Wir wollen nicht groß tun, aber wir sind der Meinung, das erfüllt noch nicht den Tatbestand der Gier.

Die Corona-Krise macht uns so beklommen wie unsere Leser. Auch unser Boden ist brüchig. Die Begegnung mit der unbekannten Gefahr führt auch uns an die Grenzen unserer journalistischen Erfahrung und Fertigkeit. Auch wir lernen mit dem Fortgang der Krise und überprüfen täglich Gewichtung und Einordnung. Wir korrigieren uns manchmal und schämen uns dessen nicht. Wir wollen den Lesern Orientierung und Halt bieten und aus den Wucherungen des Spekulativen die gesicherten Fakten destillieren. Diese bleiben für alle über zwei Kanäle frei zugänglich: über den Live-Blog der rund um die Uhr aktualisierten nationalen und internationalen Nachrichten und über den Live-Ticker, der die laufende Entwicklung in der Steiermark und in Kärnten dokumentiert.

Beide offenen Einflugschneisen befinden sich direkt neben dem digitalen Aufmacher. Rotierende Teams bespielen und kuratieren sie von frühmorgens bis spätnachts. Diese Teams gibt es nur, weil es zehntausende Leserinnen und Leser gibt, die den publizistischen Wert dieser digitalen Anstrengungen bindungs- und zahlungsbereit anerkennen, über die vierwöchige, nötigungsfreie  Probezeit hinaus. Es sind 19 Euro im Monat für Nicht-Abonnenten und vier Euro für Print-Kunden, die vier zusätzliche digitale Zugänge in der Familie kostenlos weiterreichen können.

Wir räumen ein: Das ist kein Freibier. Aber auch kein gewissenloser Raffzahn-Kapitalismus. Der geht anders.

Herzlich: Hubert Patterer, Chefredaktion
hubert.patterer@kleinezeitung.at