Die Unwetterkatastrophe in Deutschland hat bisher mehr als 140 Todesopfer gefordert, mit dem Rückzug der Wassermassen laufen nun die Rettungseinsätze auf Hochtouren.Auch erste Aufräumarbeiten haben begonnen. Obwohl das gesamte Ausmaß des Flutunglücks noch nicht bekannt ist, handelt sich zweifelsohne um eine der größten Unwetterkatastrophen der deutschen Nachkriegszeit: Wie die Polizei Koblenz am Samstagmorgen bekanntgab, erhöhte sich die Todeszahl im Zusammenhang mit der Hochwasserkatastrophe im Raum Ahrweiler "leider auf über 90". Nach neuesten Informationen sind mittlerweile 98 Tote im rheinland-pfälzischen Kreis bestätigt. Weitere Tote seien zu befürchten. Die Zahl der Verletzten stieg demnach auf 670.

Für die ebenfalls besonders schwer betroffene Region um das nordrhein-westfälische Erftstadt befürchtet Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) ebenfalls Schlimmeres: "Wir gehen von mehreren Toten aus, wissen es aber nicht", hatte er am Freitag in Düsseldorf gesagt. Trotz mehrerer eingestürzter Häuser gab es bis zum Samstagmittag aber keine bestätigten Todesopfer in dem extrem unter Wasser stehenden Stadtteil Blessem.

Wie jetzt bekannt wurde sind im Kampf gegen das Hochwasser zwei weitere Feuerwehrleute gestorben, das teilte der Verband der Feuerwehren (VdF) mit. Damit erhöht sich die Zahl der Todesfälle unter den Feuerwehrleuten auf 4.

Gewaltige Erdrutsche bilden riesige Krater

Dem riesigen Krater in Blessem fielen drei Wohnhäuser und ein Teil der historischen Burg zum Opfer.
Dem riesigen Krater in Blessem fielen drei Wohnhäuser und ein Teil der historischen Burg zum Opfer. © (c) AP (Rhein-Erft-Kreis)

Skeptisch äußerte sich dort jedoch ein Kreissprecher: Da die Arbeiten der Rettungskräfte noch in vollem Gange seien, könne man nicht ausschließen, noch Todesopfer zu finden, sagte er am Samstagmorgen der Deutschen Presse-Agentur. Die Lage sei weiterhin angespannt. In Blessem südwestlich von Köln war es zu gewaltigen Erdrutschen gekommen, es bildeten sich Krater im Erdreich, drei Wohnhäuser und ein Teil der historischen Burg stürzten ein.

Mittlerweile fließt das Wasser auch von der Bundestraße 265 in Erftstadt wieder ab, wo mutmaßlich zahlreiche Lenker von den Wassermassen überrascht wurden. Bis zuletzt war unklar, ob es alle Fahrer rechtzeitig aus ihren Fahrzeugen schafften. Die Bundeswehr barg mit Räumpanzern die wieder frei gelegten Autos und LKW und suchte nach möglichen Opfern. Wie die WELT nun berichtet, seien bisher keine Menschen gefunden worden.

Mehr als zwei Tage nach dem Unglück werden in den Regionen immer noch Menschen vermisst. Tausende Rettungskräfte sind unter anderem in der Eifel im Einsatz. Auch dort hatten die Wassermassen in der Nacht zum Donnerstag ganze Orte verwüstet. In Nordrhein-Westfalen gab es nach Angaben des NRW-Innenministeriums landesweit mindestens 43 Todesopfer und viele Verletzte. Für Rheinland-Pfalz hatte Landesinnenminister Roger Lewentz (SPD) am Freitag von 362 Verletzten gesprochen.

Steinmeier reist nach NRW, Merkel sichert Hilfe zu

Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kommt am Samstag in den von der Flutkatastrophe besonders hart getroffenen Rhein-Erft-Kreis (Nordrhein-Westfalen), Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel sicherte Hilfe zu und plant einen baldigen Besuch in der schwer verwüsteten Region in Rheinland-Pfalz. 

Bei einer Videokonferenz mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hatte Merkel am Freitag Unterstützung durch den Bund für die betroffenen Menschen zugesichert. Beim Besuch Steinmeiers in Erftstadt sagt er: "Den größten Verlust haben diejenigen zu tragen, die Angehörige verloren haben in den Fluten. Ihr Schicksal zerreißt uns das Herz."

Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock reiste nach dem Abbruch ihres Urlaubs in die Krisengebiete. Wie eine Sprecherin am Freitagabend mitteilte, will sich die Parteichefin vor Ort über die Lage der Menschen informieren. Dabei verzichte sie bewusst auf Pressebegleitung oder öffentliche Auftritte. Den Angaben zufolge traf Baerbock am Freitag in Mainz ein. Für Samstag sind weitere Termine Baerbocks in Nordrhein-Westfalen angesetzt

Rhein bei Köln erreicht Höchststand mit 8,06 Metern

Langsam zieht sich das Wasser aus vielen Regionen wieder zurück. In Köln erreichte das Rhein-Hochwasser in der Nacht zum Samstag seinen Höchststand mit 8,06 Metern, danach fiel laut Städtischen Entwässerungsbetrieben der Wasserstand wieder. Auch nach der Frühwarnprognose des Landesamts für Umwelt Rheinland-Pfalz hat sich die Hochwassergefahr zuletzt verringert. In vielen Ortschaften ist das Strom- und Telefonnetz weiter ausgefallen.

Im Ahrtal sind etliche Straßen weiterhin gesperrt oder nicht mehr befahrbar. Durch das Abfließen der Wassermassen werden dort und an der Mosel die von den Fluten angerichteten Schäden sichtbar. Auch die Infrastruktur hat schweren Schaden genommen: In dem besonders stark betroffenen Landkreis Ahrweiler sind Brücken zerstört, der Zugverkehr ist in Rheinland-Pfalz wegen der Überflutungen weiterhin massiv beeinträchtigt. Hunderte Rettungskräfte sind auf der Suche nach Toten, Verletzten und Vermissten.

Im nordrhein-westfälischen Wassenberg an der Grenze zu den Niederlanden wurde nach dem Bruch eines Damms des Flusses Rur der Stadtteil Ophoven evakuiert, rund 700 Menschen wurden in Sicherheit gebracht. Die Straßen des Stadtteils standen unter Wasser. Die Lage war am frühen Morgen laut Mitteilung der Stadt weiter angespannt, aber größtenteils unter Kontrolle. "Insgesamt stagnieren die dortigen Wasserpegel derzeit", teilte die Stadt Wassenberg mit. Ebenfalls evakuiert werden musste nun das Gefängnis in Euskirchen in Nordrhein-Westfalen, berichtet der WDR. Gefangene wurden entweder in andere Anstalten verlegt oder erhielten kurzfristig verlängerten Ausgang sowie Vollzugslockerungen. Notwendig machte diese Maßnahme die gestörte Versorgung mit Strom und Wasser.

NRW-Ministerpräsident und Unions-Kanzlerkandidat Laschet beklagte am Freitag eine "Flut-Katastrophe von historischem Ausmaß". Seine Amtskollegin aus Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), nannte die Lage "weiterhin extrem angespannt in unserem Bundesland". Sie fügte in Trier hinzu: "Das Leid nimmt auch gar kein Ende."

Luftaufnahmen aus dem Aufklärungseinsatz der Polizei zeigen das Ausmaß der Zerstörung im Ahrtal.
Luftaufnahmen aus dem Aufklärungseinsatz der Polizei zeigen das Ausmaß der Zerstörung im Ahrtal. © Polizei Thüringen

Im dortigen Stadtteil Ehrang waren die Aufräumarbeiten am Samstag in vollem Gang. "Da stapeln sich die Berge von Sperrmüll", sagte ein Stadtsprecher. Erste Anrainer gingen zurück in die Häuser. "Wer da geschlafen hat, hatte kein Wasser und keinen Strom." Betroffen sind der Stadt zufolge 670 Häuser, bei denen im Keller und Erdgeschoss fast alles zerstört wurde.

Durch die Überschwemmungen wurden außerdem zahlreiche Straßen und Bahnstrecken unbefahrbar gemacht. Die Deutsche Bahn erwartet, dass es am Wochenende weiter zu Ausfällen und Verspätungen kommt. Einige Strecken am Rhein seien derzeit nicht oder nur eingeschränkt befahrbar, teilte die Bahn mit.

Schwere Versäumnisse beim Klimaschutz?

Dreyer beklagte schwere Versäumnisse beim Klimaschutz in Deutschland. "In den vergangenen Jahren haben wir in Deutschland vieles nicht umgesetzt, was notwendig gewesen wäre", sagte die Mainzer Regierungschefin der vom Hochwasser besonders stark betroffenen Regionen den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag). Der Klimawandel sei angesichts der jüngsten Dürren und Unwetter nichts Abstraktes mehr. "Wir erleben ihn hautnah und schmerzhaft."

Während die Flutkatastrophe die Debatte über Klimaschutz neu entfacht, meldet das Kohlekraftwerk Weisweiler Probleme, die Unwetter in Nordrhein-Westfalen hätten auch das Kraftwerk und andere Standorte des Energiekonzerns RWE getroffen. Das Unternehmen schätzte die Schäden am Samstag auf einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag. Die Stromerzeugung des Kraftwerks Weisweiler bei Eschweiler laufe nur mit reduzierter Kraft, teilte RWE in Essen mit.