Im Prozess um die Tötung des Afroamerikaners George Floyd vor gut einem Jahr hat das zuständige US-Gericht eine Haftstrafe von 22 Jahren und sechs Monaten gegen den verurteilten weißen Ex-Polizisten Derek Chauvin verhängt. Das verkündete das Gericht am Freitag in Minneapolis. Die Staatsanwaltschaft hatte 30 Jahre Haft gefordert, die Verteidigung eine Bewährungsstrafe. Geschworene hatten den 45-jährigen Chauvin im April des Mordes zweiten Grades schuldig gesprochen.

Chauvin hatte sich zuvor erstmals an die Angehörigen gewandt. "Ich möchte der Familie Floyd mein Beileid aussprechen", hatte Chauvin am Freitag in dem Gerichtssaal vor der Verkündung des Strafmaßes erklärt. Wegen eines gerichtlichen Bundesverfahrens und einer möglichen Berufung könne er zur Zeit aber keine vollständige Stellungnahme abgeben.

Zuvor hatten sich die Brüder von Floyd emotional geäußert. "Was hast du gedacht, was ging dir durch den Kopf, als du auf den Nacken meines Bruders gekniet hast?", sagte Terrence Floyd am Freitag in dem Gerichtssaal in Anwesenheit des Verurteilten. Während seiner kurzen Rede musste Floyd immer wieder mit den Tränen kämpfen. Er forderte die "maximale Strafe" für Chauvin.

Auch George Floyds zweiter Bruder, Philonise, musste um Fassung ringen, als er am Freitag vor dem Gericht darüber redete, dass der Getötete seine kleine Tochter Gianna nie wieder sehen werde: "Er wird niemals den Gang bei ihrer Hochzeit entlangschreiten können", bei ihrem 16. Geburtstag da sein oder sie ihren Schulabschluss machen sehen, sagte er. Seit dem Tod seines Bruders habe er keine Nacht ruhig schlafen können und stattdessen Floyds Tod wieder und wieder durchlebt.

George Floyds siebenjährige Tochter Gianna Floyd sagte in einem abgespielten Video "ich vermisse und liebe Dich" in Richtung ihres Vaters. Floyds Neffe Brandon Williams klagte: "Unsere Familie ist für immer zerbrochen".

Der 46 Jahre alte Floyd war am 25. Mai des vergangenen Jahres in Minneapolis bei einer Festnahme ums Leben gekommen. Videos dokumentierten, wie Polizisten den unbewaffneten Mann zu Boden drückten. Chauvin presste dabei sein Knie gut neun Minuten lang auf Floyds Hals, während dieser flehte, ihn atmen zu lassen. Floyd verlor das Bewusstsein und starb wenig später. Die Beamten hatten ihn wegen des Verdachts festgenommen, mit einem falschen 20-Dollar-Schein bezahlt zu haben.

Der 45-jährige Chauvin war Ende April von Geschworenen unter anderem wegen Mordes zweiten Grades schuldig gesprochen worden. Nach österreichischem Recht entspräche dies eher Totschlag. Die Verteidigung hatte eine Bewährungsstrafe für den 45-Jährigen gefordert, die Staatsanwaltschaft dagegen 30 Jahre Haft.

In New York wurde indes ein Floyd-Denkmal geschändet. Unbekannte beschmierten es mit schwarzer Farbe. Auf der fast zwei Meter großen Büste sei am Donnerstag die Aufschrift "Patriot Front", der Name einer Neonazi-Gruppierung, gefunden worden, teilte die New Yorker Polizei mit. Ein rassistisch motivierter Hintergrund der Tat werde untersucht. Das Denkmal war erst am vergangenen Samstag eingeweiht worden. "Ich sage ganz klar zu der Neonazi-Gruppe, die das getan hat: Raus aus unserem Bundesstaat", schrieb der Gouverneur von New York, Andrew Cuomo, auf Twitter.

Weitere Anklage erhoben

Beendet ist der Fall damit nicht. Chauvin kann Berufung einlegen. Unabhängig von dem Verfahren in Minnesota ist gegen ihn außerdem vor einem Bundesgericht Anklage erhoben worden. Das US-Justizministerium teilte zur Begründung mit, dem Beschuldigten werde vorgeworfen, Floyd vorsätzlich seiner verfassungsmäßigen Rechte beraubt zu haben. Und: Neben Chauvin wurden drei weitere am Einsatz gegen Floyd beteiligte Ex-Polizisten angeklagt. Sie werden in einem Verfahren in Minneapolis ab März nächsten Jahres vor Gericht stehen. Ihnen wird Beihilfe zur Last gelegt. Auch ihnen könnten mehrjährige Haftstrafen drohen.

Viele Beobachter hatten den Schuldspruch gegen Chauvin im April als Meilenstein im Kampf gegen die Benachteiligung von Afroamerikanern in den USA gewertet, gar als eine Art Wendepunkt in der Geschichte, als Triumph über das, was viele als jahrzehntelange Straffreiheit der Polizei für Vergehen gegen Schwarze beklagten. Floyds verzweifelte Worte "Ich kann nicht atmen", die er in seinen letzten Minuten immer und immer wieder sagte, sind inzwischen zu einer Metapher für Rassismus und Polizeigewalt gegenüber Afroamerikanern und anderen Minderheiten in den USA geworden.

Floyd gab der Ungerechtigkeit einen Namen und ein Gesicht, doch sein Schicksal ist keineswegs ein Einzelfall. Und selbst jene, die den Schuldspruch gegen Chauvin bejubelten, räumten ein, dies sei nur ein Schritt von vielen, die folgen müssten, im Kampf gegen strukturellen Rassismus in Amerika.