Sie arbeiten derzeit beim Österreichischen Gedenkdienst in Jerusalem. Wie haben Sie die vergangenen Tage der Gewalteskalation zwischen Israel und der Hamas erlebt?
Otto Dorfer: Jerusalem wird relativ selten bombardiert. Daher waren die Angriffe Montagabend überraschend. Ich war in meiner Wohnung, als ich plötzlich die Sirenen hörte. Ich habe es zuerst gar nicht so wahrgenommen, ich dachte, das sei die Rettung. Es war auch nicht so laut. Kurz darauf habe ich vier Explosionen gehört, die ungefähr zehn Kilometer von mir entfernt waren. Ich bin gar nicht in einen Bunker gelaufen, weil ich nicht damit gerechnet habe, dass das ein Angriff war. Die Leute auf der Straße reagierten auch nicht wirklich, sie haben sich zwar kurz auf die Seite gestellt, aber zehn Minuten später wieder weitergefeiert. Die Menschen in Jerusalem haben das gar nicht so wahrgenommen, zumindest nicht in meiner Nachbarschaft. Ich bin jedoch seither nach wie vor angespannt, weil ich nicht weiß, wann es das nächste Mal so weit ist. Ich habe keine Angst, aber eine gewisse Art von Anspannung ist permanent vorhanden.


Bereitet man sich auf solche Situation vor, bevor man nach Israel zieht?
Die eigene Sicherheit ist eines der ersten Dinge, die man mit dem Gedenkdienst bespricht, wenn man nach Israel kommt. Man lernt, wie man sich verhalten muss. Ich habe mir beispielsweise den Bunker in meinem Haus zeigen lassen, wie ich in meine Wohnung eingezogen bin – und auch die in meiner Umgebung. Man muss wissen, wenn man nach Israel zieht, dass das Risiko einfach höher ist.


Gibt es derzeit überhaupt so etwas wie Alltag?
Hier in Jerusalem geht das Leben normal weiter. Die Straßen sind voll. Ich achte jedoch nun darauf, wenn ich das Haus verlassen, dass ich ungefähr weiß, wo der nächste Bunker ist. Aber ich gehe wieder ganz normal in die Arbeit. Niemand bleibt zuhause. Manche meiner Freunde sagen, sie könnten sich schlechter konzentrieren, weil man immer in Alarmbereitschaft ist.


Hat es für Sie Anzeichen gegeben, dass es zu einer Eskalation kommt?
Man hat schon über Wochen gespürt, dass sich die Stimmung aufheizt. Das ist erst in den vergangenen Tagen passiert. Seit Beginn des Ramadans hat es Ausschreitungen gegeben – vor allem in der Altstadt und in den muslimischen Vierteln.

Wie wird man vor Angriffen gewarnt?
Einerseits durch Sirenenalarm und andererseits gibt es eine App, die vor Einschlägen warnt. Das sind konkrete Warnungen, wo die Raketen auftreffen werden. In den vergangenen Tagen schrillte das Telefon die ganze Nacht, ich musste die App ausschalten, um schlafen zu können. Es kamen bis 600 Nachrichten in der Nacht. Da kann man nicht mehr ruhig schlafen.

Macht das Angst? Und wie geht man damit um?
Angst würde ich nicht sagen, weil ich in Jerusalem lebe und es hier sehr selten zu Raketenangriffen kommt. Meine Freunde ein Tel Aviv haben die halbe Nacht im Bunker verbracht. Sie haben mehr Angst als ich in Jerusalem.


Sie wohnen mit Einheimischen zusammen. Wie gehen ihre Freunde mit der Gefahr um?
Sie haben eine andere Sichtweise, weil sie alle Freunde haben, die gerade in der Armee dienen. Viele von ihnen waren auch selbst beim Militär und haben nun Angst, wieder einrücken zu müssen. Wenn ein Krieg ausbricht, und in Gaza einmarschiert wird, geht es um Leben und Tod für meine Freunde. Für sie hat es noch eine andere Dimension.