Staatsanwalt Steve Schleicher setzte auf Emotionen, als er im Hennepin County Government Center in Minneapolis das Schlussplädoyer der Anklage im Prozess gegen Ex-Polizist Derek Chauvin eröffnete. „Sein Name war George Perry Floyd Jr. und er wurde am 14. Oktober 1973 in Fayetteville, North Carolina geboren“, so Schleicher über den Mann, dessen Tod die USA im vergangenen Sommer aufgewühlt hatte. „Am 25. Mai 2020 starb er mit dem Gesicht auf dem Asphalt an der Kreuzung 38. Straße und Chicago in Minneapolis.“ Dann fasste Schleicher noch einmal zusammen, was sich aus Sicht der Anklage in diesem Tag ereignet hatte.

Die Stunde der Anwälte

Nach drei Wochen und 45 Zeugenaussagen schlug im Prozess gegen den ehemaligen Polizisten Derek Chauvin am Montag die Stunde der Anwälte. Ankläger und Verteidigung versuchten, die zwölf Geschworenen von ihrer Version des Todes des Schwarzen George Floyd im vergangenen Mai zu überzeugen. Der Afroamerikaner war gestorben, nachdem Chauvin ihm nach einer Festnahme über neun Minuten und 29 Sekunden das Knie auf den Hals gepresst hatte. Floyds Tod hatte überall in den USA größtenteils friedliche Demonstrationen ausgelöst, die in Ausnahmefällen jedoch auch in Gewalt umgeschlagen waren. Der Verstorbene wurde so zu einem Symbol der Black-Lives-Matter-Bewegung, die sich gegen Polizeigewalt in den USA richtet.

Im Verfahren in Minneapolis war es in den vergangenen Wochen um die Schuld Chauvins an Floyds Tod gegangen. Die Staatsanwaltschaft zeichnete ein schockierendes Bild des Ex-Polizisten. Chauvin habe übertriebene Zwangsmaßnahmen gegen einen Mann angewendet, der keinen Widerstand geleistet habe. Gestützt wurde diese Lesart von 38 Experten und Zeugen, unter ihnen auch Polizisten, die das Vorgehen des 45-Jährigen teils scharf kritisierten. Und von einem Video, das den Todeskampf von Floyd festgehalten hat. Sollte Chauvin verurteilt werden, drohen ihm bis zu 40 Jahre Haft. Er bestreitet die Vorwürfe. Im Prozess verweigerte er die Aussage.

„Vernünftige" Reaktion des Ex-Polizisten

Die Verteidigung war während der Beweisaufnahme bemüht, den Tathergang anders zu deuten als die Anklage. Chauvins Zwangsmaßnahmen seien angemessen gewesen, der Ex-Polizist habe „vernünftig“ reagiert, so Verteidiger Eric Nelson in seinem Abschlussplädoyer. Schließlich habe der ursprüngliche Anruf bei der Polizei, durch den der Einsatz ausgelost worden war, Floyd als groß und angetrunken beschrieben.

Bereits in der Verhandlung hatten die Verteidiger versucht, die Verantwortung für Floyds Tod von Chauvin abzulenken. Er sei die Folge eines Herzfehlers und von Drogen gewesen, nicht vom Knie auf dem Hals. Sachverständige der Anklage stimmten dieser Lesart zwar nicht zu, doch um den Ex-Polizisten vor dem Gefängnis zu bewahren, müssen seine Anwälte in nur einem der zwölf Juroren berechtigte Zweifel an der Version der Staatsanwaltschaft auslösen. Wie lange die Geschworenen beraten werden, lässt sich derzeit noch nicht absehen.

Die Anspannung in Minneapolis und im ganzen Land ist bereits jetzt riesig. Seit Wochen protestieren Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude. Verschärft wurde die Situation zuletzt noch von weiteren Fällen von Polizeigewalt. In Chicago etwa erschoss ein Polizist einen unbewaffneten 13-Jährigen. In Brooklyn Center erschoss eine Polizistin einen 20-Jährigen bei einer Verkehrskontrolle. Versehentlich, wie sie behauptet. Sie habe nach ihrem Taser greifen wollen und stattdessen die Pistole gezogen. Brooklyn Center ist ein Vorort von Minneapolis, liegt nur wenige Meilen von dem Gerichtsgebäude entfernt, in dem der Chauvin-Prozess läuft.

Angesichts dieser Gemengelage war Staatsanwalt Schleicher bemüht, die Konfrontation zwischen Demonstranten und Polizei nicht weiter anzufachen. Chauvin wegen seiner Taten angeklagt, nicht wegen seines Berufs. Polizist sei ein „ehrbarer Beruf“, so der Ankläger. „Und es gibt nichts Schlimmeres für gute Polizisten als schlechte Polizisten.“