Heute, Dienstag, wird am Wiener Landesgericht der Prozess gegen einen 44-jährigen gebürtigen Iraker eröffnet, dem die Staatsanwaltschaft vorwirft, er habe als Anhänger der radikalislamistischen Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS) vier Anschläge in Deutschland geplant. Laut Anklage wollte der Mann mit Wohnsitz in Wien-Simmering 2018 ICE-Züge zum Entgleisen bringen, scheiterte aber jeweils bei der Umsetzung. Seine Ehefrau ist als Beitragstäterin mitangeklagt.

Der mutmaßliche IS-Terrorist versicherte in seiner Beschuldigteneinvernahme, er habe die inkriminierten Sabotage-Akte an den Bahngeleisen zwar vorgenommen, aber nie vorgehabt, damit Züge zum Entgleisen zu bringen. Darum sei es ihm auch nicht gegangen: "Ich wollte niemandem schaden, sondern politische Gedanken fördern."

Er habe "Dummheiten begangen", gab der 44-Jährige zu Protokoll: "Das, was ich gemacht habe, ist ein großer Fehler gewesen. Es war unüberlegt." Er habe sich ständig Gedanken über die politische Situation in seiner Heimat im Irak gemacht, was ihn deprimiert hätte: "Ich habe in dunklen Gedanken verharrt."

Laut Verteidiger Wolfgang Langeder war der 44-Jährige "verbittert", ein vom Iran gestütztes "Marionettenregime" habe mithilfe europäischer Truppen im Irak die Macht erlangt. "Er hat in dramatischer Weise erleben müssen, wie seine Heimat nach dem dritten Golfkrieg in einen gescheiterten Staat abgeglitten ist", sagte der Anwalt. Mit den vier Anschlägen auf die ICE-Züge habe sein Mandant Deutschland dazu bringen wollen, seine Truppen aus dem Irak abzuziehen.

In diesem Zusammenhang habe der 44-Jährige zum Schein vorgegeben, im Namen des IS zu handeln, behauptete Langeder. Vor einem Einzeltäter "hätte sich niemand gefürchtet", gab der Verteidiger zu bedenken.

"Ich war nie ein Sympathisant oder Unterstützer des IS", bekräftigte der Angeklagte. Er habe mit dem inkriminierten Vorgehen "keinen Terror schüren, sondern etwas Positives erreichen" wollen: "Ich wollte, dass Deutschland die Truppen abzieht." Verteidiger Langeder betonte in diesem Kontext, die Anschläge seien bewusst so gestaltet worden, "dass niemals eine Gefahr für Menschen eintreten kann".

Ehefrau mitangeklagt

Die mitangeklagte Ehefrau soll von dem Ganzen nichts gewusst haben. "Sie war eine Belastung für ihn. Alles was er getan hat, hat er ganz alleine getan", versicherte Langeder. Die Frau sei eifersüchtig gewesen, weil sie vermutete, ihr Mann habe eine andere, so nach innen gekehrt habe er sich ihr gegenüber verhalten.

Astrid Wagner, die Verteidigerin der 33-Jährigen, bemerkte, diese sei in patriarchalen Strukturen aufgewachsen und sei davon geprägt: "Sie hat gelernt, dass man sich als Frau dem Mann unterzuordnen und keine Fragen zu stellen hat." Der Ehemann sei "ein Spinner, rechthaberisch, stur" gewesen. Was seine Pläne angehe, "braucht der keine Frau, die ihn unterstützt", meinte Wagner.

Allerdings wurden auf Utensilien, die bei den Anschlägen verwendet wurden, DNA-Spuren der Frau sichergestellt. Was aus Sicht der Staatsanwaltschaft dafür spricht, dass sie ihrem Mann geholfen hat.

Aktive Kontakte zum IS

Der 44-Jährige soll schon bei seiner Einreise nach Österreich im Sommer 2012 aktive Kontakte zum IS unterhalten haben. Regelmäßig kommunizierte der Asylwerber mit einem in der Schweiz lebenden Iraker, der 2017 in der Schweiz als Kopf einer IS-Zelle verurteilt wurde. Folgt man der 48-seitigen Anklageschrift, radikalisierte sich der Vater von vier minderjährigen Kindern, der in einem Supermarkt beschäftigt war, zusehends. 2017 soll er beschlossen haben, Anschläge im Namen des IS durchzuführen.

Zu diesem Zweck reiste er zunächst nach Paris und Marseille, um nach geeigneten Anschlagzielen Ausschau zu halten. Der Anklage zufolge brachte ihn dann aber ein Artikel in einem Online-Magazin des IS auf die Idee, in Deutschland ICE-Züge mittels Balken-Konstruktionen zum Entgleisen zu bringen. Er soll sich dafür eigens Fachwissen in Eisenbahnwesen und Zugtechnik angeeignet haben, in einem Baumarkt Bauteile besorgt und in der Abstellkammer seiner Wohnung eine Balken-Konstruktion hergestellt haben.

Am 25. Jänner 2018 befestigte er laut Anklage vor dem Herannahen eines ICE Holzkeile mittels Ketten und Metallteilen auf Bahngeleisen in Allersberg, einem Vorort von Nürnberg. Außerdem hinterließ er eine Box mit einer SD-Karte, auf der eine Rede des ehemaligen IS-Sprechers Abu Mohammad Al-Adnani abgespeichert war. Der geplante Anschlag scheiterte unter anderem, weil der Mann Werkstoffe mittlerer Qualität verwendet hatte und seine Konstruktion nicht ausreichte, einen ICE aus der Spur zu bringen.

Weitere Anschlagsversuche

Am 19. August 2018 tauchte der Mann wieder in Allersberg auf und legte - wie die Staatsanwaltschaft ausführt - diesmal vier Holzteile in Form von Balkenschuhen mit aufgesetzten Keilen und Metallketten auf die Geleise der Schnellbahnstrecke zwischen Nürnberg und München. Zudem hinterließ er an einer Eisenbahnbrücke ein islamistisches Graffito. Im Vorfeld hatte er außerdem ein Schreiben aufgesetzt, in dem er mit weiteren Attentaten auf ICE-Züge in ganz Europa drohte. Auch diesmal wuchtete ein ICE beim Aufprall das Hindernis auf die Seite, ohne dass gröbere Folgen eintraten.

Daraufhin änderte der 44-Jährige seine Pläne, wobei seine um elf Jahre jüngere Ehefrau mittlerweile in diese eingeweiht gewesen und ihrem Mann bei den Vorbereitungen geholfen haben soll. Am 7. Oktober 2018 begab sich der IS-Sympathisant - nach seiner Festnahme Ende März 2019 wurde im Zug einer Hausdurchsuchung umfangreiches Propagandamaterial sichergestellt - wieder nach Allersberg und spannte in einer Höhe von 1,6 Metern ein Stahlseil quer über die Geleise, das er an zwei Oberleitungsmasten befestigte. Um 23.19 Uhr kollidierte ein mit 160 Passagieren besetzter ICE mit einer Fahrtgeschwindigkeit von 204 km/h mit dem Stahlseil, was einen Lichtblitz und Schäden an der Frontscheibe sowie am Lack des Triebwagens, aber nicht mehr bewirkte.

Darauf hin zielte der 44-Jährige nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Wien auf einen Anschlag in der deutschen Hauptstadt Berlin ab. Diesen wollte er laut Anklageschrift zur Vorweihnachtszeit verüben, um eine besonders hohe Opferzahl zu erreichen. In einem Copyshop im Wiener Westbahnhof stellte er Kopien eines Drohschreibens her - die Vorlage vergaß er allerdings im Drucker, was wesentlich zu seiner Ausforschung beitrug.

Am 15. August 2018 soll der Angeklagte an der Berliner S-Bahn-Station Karlshorst ein Seil mit zu Hakenkrallen gebogenen Eisenstangen über die Oberleitung geworfen haben, womit er wiederum einen Personenzug entgleisen lassen wollte. Allerdings touchierte dann ein Güterzug mit dem Hindernis, was einen gewaltigen Lichtblitz zur Folge hatte, wodurch der Oberleitungsmast beschädigt wurde.

Einem bahntechnischen Sachverständigengutachten zufolge waren die Tathandlungen des 44-Jährigen nicht geeignet, Züge zum Entgleisen zu bringen. Die Anklagebehörde räumt zwar das Vorliegen von vier untauglichen Versuchen ein, Strafbarkeit ist nach Dafürhalten der Staatsanwaltschaft aber dennoch gegeben, weil es sich um "relativ untaugliche" Versuche gehandelt habe. Nur wegen "mangelnder Qualität der Tatausführung" sei der vom mutmaßlichen Terroristen beabsichtigte Erfolg ausgeblieben, dem mehrfacher versuchter Mord als terroristische Straftat, schwere Sachbeschädigung als terroristische Straftat und das Verbrechen der terroristischen Vereinigung angelastet wird.

Urteile für Dezember geplant

Die Verhandlung findet unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt. Das Wiener Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) wird mit mehreren Beamten vor Ort sein. Die Urteile sind für den 3. Dezember geplant.