Wenn man will in Italien, dann funktioniert es auch. Der Neubau der Morandi-Brücke in Genua hat es gezeigt. Im August 2018 stürzte die Brücke teilweise ein. Bereits zwei Jahre später steht das neue 200 Millionen Euro teure Viadukt, das Ende Juli eingeweiht werden soll. Unter normalen Umständen hätte so ein Brückenbau in Italien viele Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte in Anspruch genommen. Doch diesmal stand viel auf dem Spiel. Nicht nur, weil der Verkehr in Genua seit dem Einsturz noch chaotischer geworden ist. Italien wollte die Schande mit einer besonderen Anstrengung wettmachen. 

Der Wille, bürokratische Verfahren zu beschleunigen, haftet auch dem neuen Reformpaket an, das die italienische Regierung in dieser Woche beschlossen hat. Die Beschleunigung ist insbesondere deshalb notwendig, weil die Corona-Pandemie nicht nur die gesamte EU, sondern ganz besonders Italien zurück geworfen hat. Den Prognosen zufolge, wird das Krisenland Italien, das sich nie von den Finanz- und Schuldenkrisen seit 2008 erholt hat, unter den Folgen des Lockdowns besonders leiden. Während Deutschland wohl mit einem Minus des Bruttoinlandsprodukts von rund sechs Prozent davon kommt, könnte der Einbruch in Italien doppelt so groß sein. Maßnahmen, die diesen Rückschlag aufhalten oder gar in einen Wettbewerbsvorteil umwandeln, sind deshalb dringend notwendig.

"Die Mutter aller Reformen"

Der Neubau der Brücke von Genua soll nun als Vorbild dienen. Sie konnte deshalb so schnell gebaut werden, weil viele bürokratische Verfahren verkürzt wurden. Der aus Genua stammende Star-Architekt Renzo Piano bot sich mehr oder weniger selbst für den Entwurf eines Neubaus an. Ein von der Regierung bestellter Kommissar war für die Überwachung der vereinfachten Prozeduren zuständig. Die Versuchung, den sogenannten starken Mann Italiens Probleme lösen zu lassen, ist insgesamt groß im Land. Auch deshalb hat Lega-Chef und Ex-Innenminister Matteo Salvini immer noch großen Zulauf. Er stellt sich als handfester Problemlöser dar. 

Auch Premierminister Giuseppe Conte erhielt während des Lockdowns viel Zustimmung, weil er per Dekret regierte und viele Entscheidungen an sich zog. Die weltweit beobachtende Tendenz zur Autokratie trägt in Italien besondere Früchte. Denn wo gravierende Probleme bestehen, ist die Versuchung, diese im Schnellverfahren zu lösen besonders groß. In diesem Spannungsfeld bewegt sich die italienische Regierung mit ihrem Dekret zur Bürokratiereform.

Im Gesetzespaket, das im Detail erst noch ausgearbeitet werden muss, haben die Koalitionspartner von Fünf-Sterne-Bewegung und Demokratischer Partei sinnvolle Kompromissformeln gefunden. So können öffentliche Aufträge bis 150.000 Euro künftig ohne Ausschreibung vergeben werden, je höher der Betrag wird, desto mehr Bewerber müssen eingebunden werden.

Die Bürokratie ist überall verhasst. Doch ihr Sinn ist, die Einhaltung der Regeln zu gewährleisten. Das ist insbesondere in Italien notwendig, wo die Organisierte Kriminalität sich auf die Abschöpfung öffentlicher Gelder spezialisiert hat. In der Sorge, Betrug so schwer wie möglich zu machen, wurden Regeln geschaffen, die Verwaltungsprozesse extrem verlangsamen und teilweise behindern. Staatsanwaltschaften haben weitreichende Befugnisse, viele Infrastrukturprojekte sind wegen Ermittlungen gestoppt. Verwaltungsfunktionäre verweigern ihre Unterschriften, weil sie sich sorgen, selbst Gegenstand von Ermittlungen zu werden. Dieser verbreiteten Attitüde versucht die Regierung im Dekret mit der Änderung des Straftatbestandes des Amtsmissbrauches beizukommen.

Es ist eine Gratwanderung der Regierung von Premier Giuseppe Conte: Kriminelle und Betrüger müssen abgehalten, gerechte Prozeduren eingehalten, aber das Fortkommen der Projekte darf dabei aber nicht aufgehalten werden. Ob die neuen Regeln funktionieren, wird sich erst in einigen Monaten oder Jahren zeigen.

Das Mega-Dekret, das Ministerpräsident Conte großspurig als die „Mutter aller Reformen“ bezeichnet, soll die Green Economy sowie die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung voranbringen. Auch das ist notwendig. Die Rede ist auch von 130 Infrastrukturprojekten, die mit einem Kostenvolumen von 200 Milliarden Euro teilweise als europäische Förderprojekte den Wirtschaftsaufschwung bringen sollen. Es ist beklagenswert, dass Wachstum heute immer noch mit dem Bau neuer Autobahnen, Schnellstraßen, Hafen- und Deichprojekten verbunden wird, anstatt noch entschiedener einen nachhaltigen Wandel zu forcieren. Der Spielraum eines Krisenlandes wie Italien ist dabei begrenzt. 

Im Übrigen fehlt es Italien nicht in erster Linie an Geld. Von den in der Haushaltsperiode 2014 bis 2020 bereit gestellten EU-Fördergeldern in Höhe von 34 Milliarden Euro hat Italien bislang nicht einmal 40 Prozent abgerufen. Es liegt also nicht alleine an den Regeln oder überbordender Bürokratie. Oft fehlt in Italien an Ort und Stelle das Know-How oder der Wille für die Erstellung plausibler Projekte und deren Durchführung.