Die deutsche Hauptstadt fürchtet sich heute vor einem Verkehrsinfarkt. Kanzlerin Angela Merkel bittet zu einer Konferenz nach Berlin, die eine dauerhafte Waffenruhe im jahrelangen Bürgerkrieg in Libyen bringen soll sowie eine Umsetzung des Waffenembargos. Aber was ist schon ein Verkehrschaos im Vergleich zu dem unbeschreiblichen Chaos und Leid, das derzeit die Hauptstadt Tripolis beherrscht. Dort erwehrt sich die international anerkannte Regierung von Premier Fajis al-Sarradsch der Angriffe einer weit überlegenden Armee der Gegenregierung unter General Chalifa Haftar.

Um die Schlacht zu beenden, reisen der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin persönlich an. Nicht nur sie fordern die Sicherheitskräfte in Berlin. Insgesamt sind Vertreter von zwölf Ländern eingeladen. Sarradsch und Haftar sollen ebenfalls anwesend sein. Ein Entwurf des Abschlussdokuments unter Vermittlung der UN kursiert bereits und gibt Hoffnung, dass eine politische Lösung gefunden wird.

Völliges Chaos

Wie dringend das nach neun Jahren Gewalt in dem völlig im Chaos versunkenen nordafrikanischen Staat ist, beschreibt der Osttiroler Marcus Bachmann von „Ärzte ohne Grenzen“. Er ist humanitärer Berater für die Hilfsorganisation in Österreich und hält den Kontakt zu den Einsatzkräften. Es gibt dabei zwei wesentliche Aspekte. Zum einen die großen Auffanglager für Menschen aus den Subsahara-Ländern, die sich gerade mitten in der Frontlinie befinden.

Selbst die Helfer hätten nur punktuell Zugang, obwohl es an Wasser und Nahrung fehlt. Noch dramatisch sei aber die mangelnde medizinische Versorgung. Zahlreiche Menschen dort hätten Schussverletzungen durch den Krieg, die nicht versorgt werden können, erzählt Bachmann. 3000 bis 4000 Menschen sollen sich noch in den Lagern aufhalten, die eher Gefängnissen ähneln. Die Menschen dort würden unter dem Druck der Gefechte übereilt auf die Boote nach Europa streben. „Allein in der zweiten Jänner-Woche gab es mindestens 22 Abfahrten von Booten.“ Darauf seien 1100 Menschen gewesen, 900 wurden von der libyschen Küstenwache aufgehalten und in die Lager mitten im Bürgerkrieg zurückgebracht.

Allerdings gibt es auch eine große Binnenflucht der Libyer. „Allein im Großraum Tripolis sind es 150.000 Menschen, die innerhalb der Stadt eine Zuflucht suchen.“ Im Nachbarland Niger landen derzeit mehr Menschen, die aus Libyen ankommen als von den Fluchtrouten in der Sahara. Auch Menschen aus Libyen treffen dort vermehrt ein, sagt Bachmann.