Die Abwanderung aus Bosnien-Herzegowina boomt – und ruft auch immer mehr kriminelle Banden auf den Plan. Schon in den vergangenen Jahren deckte der Grazer Jörg Hofreiter, Honorarkonsul für Bosnien und Herzegowina, Tätergruppen auf, die sich auf Dokumentenfälschung und Fälschung von Deutschzertifikaten spezialisiert hatten. Sogar ein Staatsanwalt wurde damals verhaftet. Wir berichteten darüber. Mit den gefälschten Dokumenten konnten viele Bosnier die für Arbeit oder Studium in Österreich notwendige Rot-Weiß-Rot-Karte erlangen, ohne die dafür notwendigen Voraussetzungen besessen zu haben. Auch Deutschland war betroffen.

Wie dramatisch sich Korruption und organisierte Kriminalität im Zusammenhang mit der Abwanderung entwickelt haben, zeigt eine Großrazzia in privaten Bildungseinrichtungen. Hunderte Beamte der Sipa (übergeordnete, landesweite Polizeibehörde) stürmten dieser Tage Privatschulen in Sarajevo, Tuzla, Banja Luka, Visoko und Cazin und stellten Kisten mit Beweismitteln sicher. Mehrere Tausend verkaufte Zeugnisse (Berufsnachweise) wurden beschlagnahmt. Für über 50 Personen, darunter einen Politiker und zwei Polizeibeamte, die eine Hausdurchsuchung verraten hatten, klickten die Handschellen.

Im großen Stil

Drahtzieher soll ein Parlamentarier und Generalsekretär der Partei A-SDA gewesen sein. Er besitzt ein privates Gymnasium in Cazin bei Bihac. Seine Schule soll Befähigungszertifikate für verschiedene Berufsgruppen und Reifeprüfungszeugnisse im großen Stil ausgestellt und verkauft haben. Auch die Gattin des Schulbesitzers, zwei Schwestern von ihm, der Direktor und mehrere Schulverantwortliche sind in Haft.

Solche Dokumente werden nicht nur in Bosnien bei der Bewerbung um einen Arbeitsplatz benötigt. Sie sind auch für die Erlangung einer Arbeitserlaubnis oder eines Studienplatzes in Österreich erforderlich. „Nur wer ein Befähigungszeugnis besitzt und eine Deutschprüfung erfolgreich abgelegt hat, kann eine Rot-Weiß-Rot-Karte bekommen“, weiß der Honorarkonsul, der bis vor Kurzem selber noch Deutschprüfungen in Bosnien abgenommen hat. Hofreiter ist überzeugt, dass viele Bosnier, ob Studenten oder Arbeitskräfte, mit gefälschten bzw. ungültigen Dokumenten nach Österreich gelangt sind, ohne dass die Behörden Verdacht schöpften.

Der Bosnienkenner aus Graz kritisiert in dem Zusammenhang die Europäische Union. „Alle wollen weg, es blüht die Korruption, es gibt kaum Arbeit. Die EU ist für die Situation mit verantwortlich, weil sie Bosnien derzeit keine Beitrittschancen einräumt“, behauptet Jörg Hofreiter. „Die ausgelöste Instabilität kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass 25 Jahre nach dem Krieg noch immer ein internationaler Hochkommissär als Friedensgarantie tätig ist.“