Neun Monate nach dem verheerenden Dammbruch in einem brasilianischen Bergwerk haben fünf Hinterbliebene gemeinsam mit Hilfsorganisationen in Deutschland Anzeige gegen den TÜV Süd und einen seiner Mitarbeiter erstattet. Wie das katholische Hilfswerk Misereor am Donnerstag mitteilte, lauten die Vorwürfe auf "fahrlässige Tötung, Privatbestechung, fahrlässiges Herbeiführen einer Überschwemmung sowie Verletzung der Aufsichtspflichten". Der TÜV soll schon 2018 von Sicherheitsmängeln gewusst haben.

Wie das Nachrichtenportal "Spiegel Online" und das ARD-Magazin "Monitor" am Mittwochabend berichteten, wurde die Anzeige von den Opferangehörigen, Misereor und dem Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) bei der Staatsanwaltschaft München eingereicht. Der betroffene Mitarbeiter ist demnach ein TÜV-Süd-Manager, der bei der Zertifizierung des Damms eine zentrale Rolle gespielt haben soll. TÜV Süd bestätigte, "dass eine Strafanzeige gegen Mitarbeiter des Unternehmens im Kontext des Unglücks in Brumadinho eingegangen ist". Die Staatsanwaltschaft werde diese nun prüfen und über rechtliche Schritte entscheiden.

"Wir haben unverändert großes Interesse an der Aufklärung der Unglücksursache und bieten im Rahmen der laufenden Ermittlungen den Behörden und Institutionen in Brasilien and Deutschland weiterhin unsere Kooperation an", erklärte eine Sprecherin. Am Donnerstag sei es "offenbar zu einem sehr spontanen Treffen von Opferangehörigen und dem TÜV Süd" gekommen. Weitere Auskünfte gab das Unternehmen mit Verweis auf laufende Ermittlungen nicht. "Das Verfahren in Deutschland soll den  brasilianischen Minenbetreiber Vale S.A. nicht aus der Verantwortung entlassen", erklärte das ECCHR, "aber wir wollen klar machen: TÜV Süd trägt Mitverantwortung für die vielen Toten".

Nach einem Dammbruch in einem Bergwerk des Minenriesen im brasilianischen Brumadinho am 25. Januar hatten sich 13 Millionen
Kubikmeter Schlamm mit Bergbauabwässern in die Umgebung ergossen.
Mehr als 270 Menschen starben oder gelten seitdem als vermisst.

Nach der Katastrophe geriet der TÜV Süd in die Kritik. Das
international tätige Münchner Zertifizierungsunternehmen hatte den
Damm im Auftrag von Vale geprüft und trotz mehrerer
Wartungsempfehlungen für sicher erklärt. Laut ECCHR hatten
Ingenieure der zuständigen brasilianischen TÜV-Tochterfirma bereits
im März 2018 auf Probleme bei der Entwässerung hingewiesen.

Das System der Zertifizierungen, bei dem Unternehmen für die
Sicherheitsprüfungen bezahlen, sorgt aus Sicht der Menschenrechtler
"nicht für Sicherheit, sondern vor allem für eine Verschleierung von
Verantwortlichkeiten" sowie "zwingend zu einem Interessenkonflikt".
Der Fall in Brasilien zeige, "dass wir dringend eine gesetzliche
Verpflichtung für Unternehmen brauchen, weil viele nicht freiwillig
ihrer Verantwortung nachkommen".

Vor diesem Hintergrund fordern Misereor, die Naturschutzorganisation BUND und weitere Organisationen von der Bundesregierung ein Lieferkettengesetz, das Unternehmen zur Vermeidung von Schäden an Mensch und Umwelt verpflichtet und Schadenersatzklagen ermöglicht.

Die Linken-Bundestagsabgeordnete Eva Schreiber schloss sich dieser Forderung am Donnerstag an. "Große Unternehmen wie der TÜV kommen bei Menschenrechtsverletzungen in aller Welt zu oft straffrei davon", kritisierte sie. Die Regierung schiebe das Problem "seit Jahren auf die lange Bank. Zertifizierungsdienste dürften nicht "privatwirtschaftlicher Profitlogik unterliegen", sagte Schreiber weiter: "Wir sollten darüber nachdenken, solche Siegel von einer  unabhängigen staatlichen Stelle vergeben zu lassen."