Nach monatelangen Protesten in Hongkong will die Regierung die Lage mit einem Vermummungsverbot unter Kontrolle bringen. Dafür greift sie zum ersten Mal seit Beginn der Massendemonstrationen auf Notstandsgesetze zurück. Nach der Verkündung kam es erneut zu Protesten, bei denen wieder ein Demonstrant erschossen wurde.

Ab Samstag sei das Tragen von Gesichtsmasken untersagt, kündigte Regierungschefin Carrie Lam an. Der Verstoß gegen das Verbot wird mit bis zu einem Jahr Gefängnis geahndet. "Die meisten Demonstranten tragen Masken, um ihre Identität zu verbergen", sagte Lam am Freitag. Deshalb seien sie so "ungezügelt" geworden. Ziel sei es, Gewalt zu unterbinden. Sollte dies mit dem Vermummungsverbot nicht gelingen, müssten noch andere Maßnahmen ernsthaft in Erwägung gezogen werden.

Nach der Verkündung des Verbots demonstrierten Tausende Hongkonger, darunter viele mit Gesichtsmasken. Für die nächsten Tage waren bereits weitere Protestkundgebungen der Demokratiebewegung in der chinesischen Sonderverwaltungszone geplant. Die Vereinten Nationen forderten die Hongkonger Führung auf, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu schützen.

Identifikation oder Haftstrafe

Ausnahmen gelten für Personen, die aus beruflichen, gesundheitlichen oder religiösen Gründen einen Gesichtsschutz tragen, aber auch für Journalisten, die über die Proteste berichten und sich auch mit Masken gegen Tränengas schützen. Die Polizei kann aber künftig jede Person in der Öffentlichkeit bei Verdacht auffordern, zur Identifizierung den Gesichtsschutz abzulegen. Wer dem nicht folgt, muss mit Strafen bis zu sechs Monaten Haft rechnen.

Unklar blieb zunächst, wie das Vermummungsverbot durchgesetzt werden soll. Schließlich gehen aus Furcht vor Krankheitserregern viele der 7,4 Millionen Einwohner von Hongkong grundsätzlich nur mit einem Mundschutz vor die Tür. Dem Parlament werde der Bann auf seiner nächsten Sitzung am 16. Oktober vorgelegt, um ihn zu einem Gesetz zu machen.

Es werde nicht grundsätzlich der Notstand über die Stadt verhängt, betonte Lam. Das Gesetz ermögliche es aber Behörden, jegliche Anordnungen "im öffentlichen Interesse" zu erlassen. Demokratie-Aktivisten kritisierten Lams Rückgriff auf das Notstandsgesetz, das seit mehr als 50 Jahren nicht mehr zur Anwendung gekommen war.

Uraltes Regelwerk

Die Regierungschefin schloss nicht aus, dass auch Zensur oder Ausgangssperren verhängt werden könnten. Auch wenn die Regierung keine weiteren Maßnahmen ergreifen wolle, "muss sie angemessene Wege finden, um mit der Situation umzugehen", antwortete Lam unter Hinweis auf eine weitere Eskalation der Gewalt. Das Gesetz unter Kapitel 241 ermöglicht der Regierungschefin weitere Notstandsmaßnahmen, "die als notwendig im öffentlichen Interesse betrachtet werden".

"Das ist ein uraltes Regelwerk aus Kolonialzeiten, das nur genutzt wird, wenn keine andere Gesetzgebung mehr möglich ist", sagte der regierungskritische Anwalt Martin Lee. "Wenn man einmal damit angefangen hat, gibt es kein Halten mehr." Auch Beobachter sehen das Verbot als drastischen Schritt, mit dem die in Bedrängnis geratene Regierungschefin auf Linie der Pekinger Führung die Proteste unter Kontrolle zu bringen versucht.

Aktivisten brachten indes das Vermummungsverbot in einem Eilantrag vor das Oberste Gericht. Der frühere Studentenführer Lester Shum und der "Langhaar" genannte Veteran der Demokratiebewegung, Leung Kwok-hung, versuchten am Freitagabend, noch vor dem Inkrafttreten des Vermummungsverbotes um Mitternacht eine einstweilige Verfügung zu erreichen. Wie Shum auf seiner Facebookseite berichtete, wollte sich das Gericht tatsächlich noch am Abend damit befassen, was ungewöhnlich ist.

Auch international regte sich Kritik. "Politischer Dialog ist der einzige Weg, um die Situation in Hongkong zu lösen", sagte der britische Außenminister Dominic Raab. Während Regierungen ihr Volk schützen sollten, müssten sie vermeiden, Spannungen noch zu verschärfen. Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Deutschen Bundestages, Gyde Jensen, forderte Hongkongs Regierung auf, das Verbot zurückzunehmen. "Anstatt die Situation immer weiter zu eskalieren, sollte sie auf die Demonstranten zugehen, damit gemeinsam an einer politischen Lösung gearbeitet werden kann."

Bei den neuen Protesten in Hongkong wurde nach Medienberichten wieder ein Demonstrant angeschossen. Wie "Hong Kong Free Press" am Freitag berichtete, wurde der junge Mann von einem Polizeibeamten, der nicht im Dienst war, in den linken Oberschenkel geschossen. Wie schwer er verletzt wurde, war nicht bekannt. Die Polizei bestätigte den Vorfall zunächst nicht.

Gewalt auf beiden Seiten

Als Demonstranten die Straßen im Bezirk Yuen Long besetzt hatten, sei der Polizist mit seinem privaten Auto vorgefahren, wurde berichtet. Laut "Apple Daily" soll er einen Demonstranten mit dem Auto angestoßen haben und sei von Demonstranten umringt worden. In dem folgenden Chaos habe der Polizist seine Waffe gezogen und geschossen.

Er sei von Demonstranten verprügelt worden. Wie auch in einem Video zu sehen ist, wurde dann ein Brandsatz auf ihn geworfen. Doch konnte er dem Feuer entkommen. Er verlor seine Waffe, die auf dem Boden landete, konnte sie aber wieder zurückholen, bevor ein Demonstrant sie aufgreifen konnte, wie in dem Video zu sehen war.

Als er im Gesicht blutend versuchte, über das Handy Hilfe zu rufen, landete ein weiterer Brandsatz brennend vor seinen Füßen. Er sei dann zur U-Bahnstation Yuen Long gelaufen, wo er Hilfe von ankommenden Polizeiwagen gesucht habe, berichtete "Hong Kong Free Press".

Schon am Dienstag war einem 18-jähriger Student in die Brust geschossen worden. Er hatte einen Polizeibeamten mit einer Stange angegriffen, obwohl dieser die Waffe bereits gezogen hatte.

Die Proteste hatten vor rund vier Monaten als Widerstand gegen einen inzwischen zurückgezogenen Gesetzentwurf für Auslieferungen Beschuldigter an die Volksrepublik begonnen. Doch die Demonstranten sehen auch allgemeine Freiheiten gefährdet, die die ehemalige britische Kronkolonie genießt. Inzwischen richten sich die Proteste auch gegen die Regierung in Peking. Hongkong ist seit 1997 eine Sonderverwaltungszone der Volksrepublik.