Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel hat für offene und kontroverse Debatten geworben, zugleich aber die Einhaltung der "Spielregeln" des Grundgesetzes angemahnt. Dabei gelte: "Nein zu Intoleranz, Nein zu Ausgrenzung, Nein zu Hass und Antisemitismus", sagte Merkel beim zentralen Festakt zum Tag der deutschen Einheit am Donnerstag in Kiel.

Über die großen Herausforderungen unserer Zeit müsse "offen, lebendig und kontrovers" diskutiert werden, fügte die CDU-Politikerin hinzu. Die Werte des Grundgesetzes müssten "jede Debatte in unserem Lande" bestimmen. Als Bürger in einer Demokratie hätten alle die Verpflichtung, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit immer wieder aufs Neue zu sichern. Dazu gehöre, "dass niemand, der öffentlich Verantwortung übernimmt, um Leib und Leben fürchten muss".

"Gefühlte Wahrheiten" als Gefahr

Für eine lebendige Demokratie sei Offenheit notwendig, sagte die Kanzlerin weiter. Wenn aber die "großen Fragen der Zeit nur in einer Blase oder Echokammer" diskutiert würden und außerdem "sogenannte gefühlte Wahrheiten die Oberhand gegenüber den tatsächlichen Fakten bekommen, dann wird das zum Schaden für uns alle sein", warnte Merkel.

Kein Land könne allein die Herausforderungen der Zukunft bewältigen. Daher müssten "wir mehr denn je multilateral statt unilateral denken und handeln", "global statt national, weltoffen statt isolationistisch, gemeinsam statt allein", appellierte die Bundeskanzlerin.

Am 29. Tag der deutschen Einheit würdigte Merkel die Leistung der damaligen DDR-Bürger. Im Herbst 1989 hätten sich in allen Regionen der DDR Menschen erhoben, ihre Angst überwunden und die Spielregeln des "Untertanen- und Unrechtsstaats" außer Kraft gesetzt. Der friedliche Umsturz sei gelungen, weil sich die Bürger "die Mündigkeit nicht länger vorenthalten lassen wollten". Sie denke an diesem Tag der Freude auch ganz besonders an die Opfer der SED-Diktatur.

Seit der Wiedervereinigung sei "unglaublich viel erreicht" worden, sagte die CDU-Politikerin. Das sei aber nicht die ganze Wahrheit: Umfragen zufolge fühle sich die Mehrheit der Ostdeutschen "als Bürger zweiter Klasse". Weniger als die Hälfte sei mit der Demokratie zufrieden. Daher müssten alle lernen zu verstehen, "was es für den einzelnen Menschen bedeutete, als auf die Last der Teilung die Wucht der Einheit folgte", warb Merkel für mehr Verständnis.