Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Küstennähe. Extreme Ereignisse wie Sturmfluten oder Starkniederschläge verursachen in den besiedelten Gebieten jedoch heute schon immer wieder beträchtliche Schäden. Forscher rechnen damit, dass solche Extremereignisse in Nordeuropa künftig öfter gemeinsam auftreten und damit die Hochwassergefahr tendenziell noch steigen könnte.

Gleichzeitig

Bisherige Abschätzungen für die Hochwassergefahr an Europas Küsten betrachten Sturmfluten und Starkniederschläge unabhängig voneinander, schilderte Douglas Maraun vom Wegener Center für Klima und Globalen Wandel im Gespräch mit der APA. Oft werden diese Extremereignisse jedoch durch die gleiche Wetterlage ausgelöst und treten daher immer wieder auch gleichzeitig auf. Das verschärft die Problematik: Die Sturmfluten treiben große Wassermengen auf die Küstenregion zu. Dadurch wird vor allem in Flussmündungen das abfließende Wasser des Starkregens aufgestaut und der Wasserspiegel steigt noch mehr.

Laut dem Forscher vom Wegener Center an der Universität Graz sollten solche zusammengesetzten Ereignisse (Compound Events ,CE) mehr Beachtung finden und zusammen betrachtet werden, um eine Unterschätzung des Risikos zu vermeiden. Maraun war Teil einer internationalen Forschergruppe, die für den europäischen Küstenbereich untersucht hat, wie sich das Hochwasserrisiko, das gemeinsam von Starkregen und Sturmfluten verursacht wird, durch den künftigen Klimawandel verändern könnte. Die Ergebnisse der Zukunftsprognose wurden in der jüngsten Ausgabe von "Science Advances" publiziert. Die Perspektiven für Nordeuropa sind nicht rosig.

Niederschlagssimulationen

Die Forscher haben ein mathematisches Modell der Meeresoberfläche von Wissenschaftern des Joint Research Center der Europäischen Kommission in Ispra zur Hilfe genommen, das die Entwicklung künftiger Sturmfluten im Rahmen der bisherigen Klimaerwärmung modellierte. Diese Ergebnisse hat die Grazer Forschergruppe mit Niederschlagssimulationen zusammengeführt und in einem komplexen statistischen Modell analysiert. Verglichen wurden Daten aus der Zeitspanne von 1970 bis 2004 mit dem Zeitraum von 2070 bis 2099.

"Es zeigt sich, dass in Nordeuropa die Niederschläge intensiver werden, so dass die Gefahr von gleichzeitig auftretenden Starkniederschlägen und Sturmfluten tendenziell steigen könnte", fasste Maraun zusammen. In Küstengebieten könnte es dann im Bereich von Flussmündungen verstärkt zu Hochwasserereignissen kommen. Für die Westküsten Großbritanniens, Nordfrankreichs, der Ost-und Südküste der Nordsee sowie der östlichen Hälfte des Schwarzen Meeres sei unter der Annahme einer weiteren Klimaerwärmung von einer starken Zunahme eines Überschwemmungsrisikos auszugehen. Der Bristol-Kanal und die britische Küste von Devon und Cornwall sowie die niederländische Nordseeküste dürften den Modellierungen zufolge Brennpunkte werden, an denen die "Compound Events" mehr als einmal innerhalb von sechs Jahren auftreten.

In Noorderzijlvest in den Niederlanden dürfte sich das Überschwemmungsrisiko durch das Zusammenwirken der Ereignisse demnach verdreifachen, nahe Bergen an der norwegischen Küste könnte es sich möglicherweise verfünffachen. Für Südosteuropa ändert sich das Bild auch: "Hier dürfte die Zahl der Sturmfluten abnehmen, wodurch die Gefahr gleichzeitiger Extremniederschläge insgesamt eher sinken sollte", schloss der Klimaforscher.