Die Menschheit lässt die Natur einem umfassenden Weltbericht zufolge in rasendem Tempo von der Erde verschwinden. Dafür gebe es inzwischen überwältigende Beweise, die ein unheilvolles Bild zeichneten, warnte der Vorsitzende des Weltbiodiversitätsrates (IPBES), Robert Watson, am Montag.

"Wir erodieren global die eigentliche Basis unserer Volkswirtschaften, Lebensgrundlagen, Nahrungsmittelsicherheit und Lebensqualität", so Watson. Die Weltgemeinschaft müsse sich dringend abwenden von wirtschaftlichem Wachstum als zentralem Ziel, hin zu nachhaltigeren Systemen, hieß es.

Beängstigende Fakten

In ihrem ersten globalen Bericht zum Zustand der Artenvielfalt reiht die Einrichtung der Vereinten Nationen beängstigende Fakten aneinander: Von den geschätzt acht Millionen Tier- und Pflanzenarten weltweit sei rund eine Million vom Aussterben bedroht. Das Ausmaß des Artensterbens war in der Geschichte der Menschheit noch nie so groß wie heute - und die Aussterberate nimmt weiter zu. Drei Viertel der Naturräume auf den Kontinenten wurden vom Menschen bereits erheblich verändert, in den Meeren zwei Drittel.

Immer wieder verdeutlichen die Autoren, dass der Verlust an Biodiversität kein reines Umweltthema ist, sondern auch Entwicklung, Wirtschaft, politische Stabilität und soziale Aspekte wie Flüchtlingsströme beeinflusst. Gravierende Folgen für Menschen weltweit seien inzwischen wahrscheinlich, warnen sie. Noch sei es aber nicht zu spät für Gegenmaßnahmen, erklärte Watson, "aber nur, wenn wir sofort auf allen lokalen bis globalen Ebenen damit beginnen". Es bedürfe fundamentaler Veränderungen bei Technologien, Wirtschaft und Gesellschaft, Paradigmen, Ziele und Werte eingeschlossen.

Biodiversität als Sicherheitsnetz

"Die Biodiversität und die Naturgaben für den Menschen sind unser gemeinsames Erbe und das wichtigste Sicherheitsnetz für das Überleben der Menschheit", erklärte die Argentinierin Sandra Díaz. Dieses Netz sei jedoch inzwischen bis fast zum Zerreißen belastet. Diaz, Ökologin an der Nationalen Universität Cordoba, ist neben Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle und dem brasilianischen Anthropologen Eduardo Brondízio Hauptautorin des IPBES-Berichts.

In den meisten Lebensräumen auf dem Land schwand die Zahl dort natürlich vorkommender Arten im Mittel um mindestens 20 Prozent, zumeist seit 1900, lautet eine weitere der Kernaussagen des Berichts. Mehr als 40 Prozent der Amphibienarten, fast 33 Prozent der riffbildenden Korallen und mehr als ein Drittel aller marinen Säugetierspezies sind demnach bedroht. Auch bei Nutztieren schwinde die Vielfalt: Mehr als neun Prozent der zur Nutzung als Fleischlieferant oder Arbeitstier domestizierten Säugetierrassen seien bis 2016 ausgestorben.

Nur vier von zehn EU-Bürgern wissen Bescheid

In Europa gibt es bei dem Thema offenbar noch Informationsdefizite, wie aus einer aktuellen Eurobarometer-Umfrage hervorgeht. Demnach wissen nämlich nur vier von zehn Europäern, was Biodiversität bedeutet.

Befragt wurden 27.643 Personen aus allen 28 EU-Mitgliedsstaaten. Zwar gaben 71 Prozent an, schon einmal von Biodiversität gehört zu haben, aber nur 41 Prozent wussten auch, was der Begriff bedeutet. Nichtsdestotrotz hat sich der Wert seit einer vergleichbaren Studie aus 2015 bereits um elf Prozentpunkte gesteigert, heißt es in der Studie. Österreich liegt übrigens mit 41 Prozent exakt im EU-Schnitt.

Sehr gut Bescheid wissen demnach die Schweden (73 Prozent), Bulgaren (59) und Luxemburger (58). Am unteren Ende der Skala liegen die Polen (21), Slowaken (20) und Letten (18).

Gefragt nach den größten Bedrohungen für Artenvielfalt, dominiert die Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden das Ranking, gefolgt von durch Menschen verursachte Katastrophen wie Industrieunfälle oder Gewässerverschmutzung durch Öl.

Seit 2015 verstärkt in den Fokus gerückt ist das Thema Klimawandel. Diesen halten inzwischen 58 Prozent der EU-Bürger (2015: 51 Prozent) für eine große Bedrohung in Sachen Biodiversität. Weniger Verantwortung für das Verschwinden von Pflanzen und Tieren schreibt man indes Eingriffen in die Natur etwa durch den Bau von Straßen oder Dämmen zu.

In zehn Mitgliedsstaaten spricht sich inzwischen eine Mehrheit dafür aus, die Beschädigung von Naturschutzgebieten auch dann zu verbieten, wenn sie von wirtschaftlichem Nutzen wäre. Österreich gehört mit 52 Prozent an Zustimmung ebenfalls in diese Riege. EU-weit gibt es dafür allerdings noch keine Mehrheit (45 Prozent).

In Ländern, wo die Präferenz für den Naturschutz eher geringer ausgeprägt ist - etwa in Deutschland (34 Prozent), Niederlande oder Dänemark (je 28) -, fällt allerdings der Anteil jener stärker aus, die sich nur dann eine Beschädigung von Naturschutzgebieten vorstellen können, wenn die damit verbundenen Projekte im öffentlichen Interesse sind und ökologische Beeinträchtigungen durch Zusatzmaßnahmen kompensiert werden können.