Zwei Schwestern aus Saudi-Arabien, die seit einem halben Jahr auf der Flucht vor ihrer Familie in Hongkong festsitzen, wehren sich gegen eine Abschiebung in ihre Heimat. Bei einer Rückkehr drohe ihnen Zwangsheirat oder Tod, da sie ihrer Familie "Schande" bereitet hätten, sagte die ältere Schwester der Nachrichtenagentur AFP. Da sie dem Islam abgeschworen hätten, fürchteten sie die Todesstrafe.

Laut ihrem Anwalt Michael Vidler wollen Hongkongs Einwanderungsbehörden die beiden 20 und 18 Jahre alten Schwestern, die sich Reem und Rawan nennen, noch bis zum 28. Februar "dulden". Danach könnten sie abgeschoben werden.

Reem und Rawan stammen nach eigenen Angaben aus einer Mittelklasse-Familie aus Riad. Sie seien schon als kleine Mädchen von ihrem Vater und später dann auch von ihren Brüdern wegen Nichtigkeiten geschlagen worden, berichtete Reem. Selbst ihr zehnjähriger Bruder habe sich beteiligt: "Er war noch ein Kind, aber er lernte von seinen Brüdern und seinem Vater und allen anderen Männern, dass dies der richtige Weg für einen Mann und im Umgang mit Frauen ist".

Zwei Jahre Planung

Ihre Flucht hätten sie schon seit zwei Jahren geplant, sagte Reem AFP. Während eines Familienurlaubs im September in Sri Lanka hätten sie dann ihre Pässe aus einer Tasche ihrer Eltern genommen und einen Flug nach Melbourne gebucht. Auf der Zwischenlandung in Hongkong seien sie aber von mehreren Männern aufgehalten worden. Als sie merkten, dass ihr Weiterflug nach Melbourne annulliert worden sei, seien sie in Hongkong untergetaucht.

Dort hätten sie dann im November von ihrem Anwalt erfahren, dass ihre Pässe für ungültig erklärt worden und sie somit staatenlos seien. Die jungen Frauen berichten, dass es sich bei einem der Männer auf dem Flughafen um den saudi-arabischen Generalkonsul in Hongkong gehandelt habe und dass örtliche Polizisten versucht hätten, sie zu männlichen Angehörigen oder saudi-arabischen Vertretern zu bringen.

Die beiden Schwestern vermuten, dass ihr Vater sie über die umstrittene App Absher überwachen konnte. Die App stellt elektronische Dienste der saudi-arabischen Behörden zur Verfügung - ermöglicht es gleichzeitig aber auch Männern, ihre weiblichen Angehörigen im Auge zu behalten. Unter anderem seien über die App ihre Pass-Angaben gespeichert, sagte Reem.

Reem und Rawan hoffen auf Asyl durch einen Drittstaat. Sie wünsche sich ein "normales Leben", sagte Reem AFP. In Saudi-Arabien seien sie jeden Tag zu Hause eingeschlossen gewesen: "Wir können unsere Freunde nicht treffen, wir können nicht ausgehen, wir haben keine Hobbys, bei denen wir das Haus verlassen müssten".

Auf Rahafs Spuren

Hongkongs Sicherheitsminister John Lee und die Einwanderungsbehörden wollen sich zu dem Fall nicht näher äußern. Saudi-Arabiens Konsulat in der chinesischen Sonderverwaltungszone reagierte zunächst nicht auf die Bitte nach einer Stellungnahme.

Der Fall der geflüchteten Schwestern erinnert an die 18 Jahre alte Rahaf Mohammed al-Kunun aus Saudi-Arabien, die im Jänner auf der Flucht vor ihrer Familie in Bangkok gestoppt wurde. Auch sie wollte nach Australien und dort Asyl beantragen. Sie erhielt schließlich Asyl in Kanada.

Al-Kunun war nach eigenen Angaben wegen körperlicher und seelischer Misshandlungen vor ihrer Familie geflüchtet. Das ultrakonservative Königreich Saudi-Arabien steht seit langem wegen der Repression von Frauen in der Kritik.

Die 20-jährige Reem studiert Englische Literatur, zu ihren Lieblingsbüchern zählt George Orwells Roman "1984" über einen künftigen totalitären Überwachungsstaat. "Die Literatur hat mir geholfen, meine eigene Realität zu verstehen", sagt Reem. "1984 ist nur Science-Fiction, aber in Saudi-Arabien passiert es wirklich - unser ganzes Leben wird von der Regierung kontrolliert".