Im Skandal um die bei der Polizei verschwundenen Beweismittel im Missbrauchsfall Lügde hat es erste personelle Konsequenzen gegeben. Der Landrat des Kreises Lippe und Behördenleiter der Polizei, Axel Lehmann (SPD), suspendierte nach eigenen Angaben am Freitag den Leiter der Direktion Kriminalität in der Behörde. Unterdessen teilte die Staatsanwaltschaft Detmold mit, sie habe derzeit keine Hinweise auf einen Diebstahl der abhandengekommenen Beweismittel.

Der Landrat von Lippe entschuldigte sich vor Journalisten bei den Betroffenen des Missbrauchsfalls für die offenkundigen Ermittlungspannen bei der Polizei. "Dass gravierende Fehler gemacht worden sind, ist unstreitig", sagte Lehmann mit Blick auf die 155 verschwundenen Datenträger. Welche Fehler gemacht worden seien, werde nun "komplett aufgeklärt". Lehmann sprach in diesem Zusammenhang von einer "eklatanten Fehlleistung" bei der Polizei Lippe, die ihn "fassungslos" mache.

Das Verschwinden der 155 CDs und DVDs bei der Kreispolizei Lippe war am Donnerstag bekannt geworden. Die Staatsanwaltschaft Detmold erklärte dazu, bis zum jetzigen Zeitpunkt gehe die Behörde "davon aus, dass die Asservate aufgrund nachlässigen Umgangs nicht auffindbar sind und nicht entwendet wurden". Natürlich werde aber auch die Möglichkeit eines Diebstahls nicht ausgeschlossen. "Bislang haben sich dafür allerdings zureichende tatsächliche Anhaltspunkte nicht ergeben."

Die nicht auffindbaren Datenträger hatten Ermittler im Fall der jahrelangen Kindesmissbrauchsserie auf dem Campingplatz "Eichwald" in Lügde-Elbrinxen bei dem 56-jährigen Hauptverdächtigen beschlagnahmt. Die Missbrauchsserie von Lügde war am 30. Jänner bekannt geworden.

Drei Verdächtige

Nach jüngstem Ermittlungsstand wurden auf dem dortigen Campingplatz über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren mindestens 31 Kinder missbraucht. Die meisten waren zur Tatzeit zwischen vier und 13 Jahre alt. Neben dem 56-Jährigen sitzen zwei weitere Tatverdächtige in Untersuchungshaft.

Der NRW-Vorsitzende des Bunds deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler, warf unterdessen Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) vor, trotz mehrfacher Warnung nichts gegen personellen Notstand bei der Polizei unternommen zu haben. "Ich selbst habe den Minister schon oft darauf hingewiesen", sagte Fiedler der "Westdeutschen Zeitung". "Und es gab offene Briefe. Da bekommt man warme Worte, aber es passiert nichts."

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte eine lückenlose Aufklärung des Falls ohne Vorverurteilung. "Dass den ersten Hinweisen auf den massenhaften sexuellen Missbrauchsfall von Kindern auf einem Campingplatz in Lüdge nicht sofort nachgegangen wurde und dass Beweismittel verloren gegangen sind, hat das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei nachhaltig erschüttert", räumte der NRW-Vorsitzende der GdP, Michael Mertens, ein.

Auch der NRW-Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Erich Rettinghaus, mahnte in der "Rheinischen Post" eine lückenlose Aufklärung des Verbleibs der Beweismittel an. "In keinem Strafverfahren dürfen Beweismittel verschwinden - das geht überhaupt nicht", sagte Rettinghaus. Nun müsse gründlich ermittelt werden. Zunächst aber gelte die Unschuldsvermutung. Laut "RP" war bei der Kreispolizei in Lippe ein Polizeianwärter mit der Auswertung des beschlagnahmten Beweismaterials betraut.