Der Vatikan will in naher Zukunft über die Zahl aller Geistlichen informieren, die wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen kirchenrechtlich bestraft wurden. Dies kündigte der Chefermittler des Papstes für Sexualstraftaten, Erzbischof Charles Scicluna, laut Kathpress am Freitag bei einer Pressekonferenz im Vatikan an.

Die Römische Glaubenskongregation, bei der seit knapp 20 Jahren alle Fälle von sexuellem Missbrauch durch katholische Geistliche gerichtlich verhandelt werden, arbeite an der Erfassung und Herausgabe der entsprechenden statistischen Daten, erklärte Scicluna.

Wie können Bischöfe abgesetzt werden

Am zweiten Tag des Anti-Missbrauchsgipfels im Vatikan sind erstmals konkrete Vorschläge zur Reform des Kirchenrechts diskutiert worden. Im Kern geht es um die Frage, wie Kirchenobere abgesetzt werden können, wenn sie selbst Missbrauch begangen oder im Umgang mit Missbrauchstätern versagt haben.

Die Selbstherrlichkeit katholischer Bischöfe, die zwischen sich und dem lieben Gott nur den Papst als Kontrollinstanz sehen, soll nach diesem Vorschlag ein Ende finden.

Kardinal Blase Cupich aus Chicago legte am Freitagmorgen einen 12-Punkte-Plan vor, der zahlreiche Nachfragen in der Versammlung auslöste. Demnach sollen künftig die Metropolitan-Erzbischöfe, die bislang ein eher zeremonielles Führungsamt in ihrer jeweiligen Kirchenprovinz innehaben, eine Schlüsselrolle übernehmen: Sie sollen die Verfahren an sich ziehen, die letztlich zur Absetzung eines Bischofs führen können - etwa, wenn er einer Missbrauchsanzeige nicht nachgegangen ist. Oder wenn er überführte Missbrauchstäter nicht entlassen, sondern lediglich in eine andere Gemeinde versetzt hat. Unterstützung sollen die Metropoliten bei dieser Kontrollaufgabe von Nicht-Klerikern mit juristischer und kriminalistischer Kompetenz erhalten. Am Ende soll Rom über die Entlassung des Bischofs entscheiden.

Mit diesem Vorschlag greift Cupich Reformideen auf, die im vergangenen Herbst bei der Vollversammlung der amerikanischen Bischofskonferenz in Baltimore kontrovers diskutiert wurden. Eine davon zielte darauf ab, die Metropoliten mit der Aufsicht über und den Ermittlungen gegen ihre Amtsbrüder zu betrauen. Dieser Vorschlag hat sich bei den US-Bischöfen nun offenbar durchgesetzt und soll nach dem Willen von Cupich auch weltweit eingeführt werden. Auch an den Fall, dass ein Metropolit selbst für schuldig oder unfähig gehalten wird, haben die Amerikaner gedacht: Dann muss der dienstälteste Bischof der Kirchenprovinz das Verfahren gegen den Erzbischof in die Hand nehmen.

Unabhngige Behörde als Alternative

Als Alternative zum Cupich-Vorschlag regte am Freitagnachmittag die im Vatikan arbeitende Kirchenrechtlerin Linda Ghisoni die Schaffung eines unabhängigen Kontroll- und Beratungsgremiums in jedem Land an. Es solle auf Ebene der Bischofskonferenz evaluieren, ob die einzelnen Bischöfe korrekt arbeiten und ob sie alles Notwendige tun, um den Missbrauch zu bekämpfen. Diesen Gremien sollten überwiegend Laien, aber auch Geistliche angehören, meinte die Untersekretärin im Päpstlichen Familienrat.

Anders als ihre Idee greift der Cupich-Plan auf bestehende Strukturen wie die Kirchenprovinzen und die Metropolien zurück. Von Konferenzteilnehmern war zu hören, dass der Vorschlag aus USA realistische Chancen habe. Wenn er tatsächlich Kirchenrecht wird, hätte das weitreichende Folgen. Neben der strafrechtlichen Seite, für die der Fall des Jahrzehnte lang straflos gebliebenen Ex-Kardinals Theodore McCarrick als Warnung steht, kommt erstmals so etwas wie die Übernahme "politischer Verantwortung" von Bischöfen in den Blick.

Nicht nur wenn sie kirchenrechtlich straffällig geworden sind, müssen Oberhirten dann zurücktreten, sondern auch, wenn sie in ihrer Leitungsfunktion versagt haben. "Wer sich als Hirte unfähig erwiesen hat, seine Herde vor den Verletzungen der Missbrauchstäter zu schützen, muss gehen!", brachte der Erzbischof von Chicago die Sache auf den Punkt.

In letzter Konsequenz bedeutet der Vorschlag nicht weniger als eine Verfassungsreform im Aufbau der katholischen Kirche. Die unmittelbare Unterstellung jedes Bischofs unter den Papst würde ein Stück weit eingeschränkt, ein neues Element von "checks and balances" in die Kirchenhierarchie eingeführt. Die Missbrauchskrise wäre damit noch nicht überwunden. Aber die Nachlässigkeit, die manche Bischöfe noch immer gegenüber den Missbrauchsfällen an den Tag legen, dürfte dann der Vergangenheit angehören.

Schönborn: "Eine große Erschüttrung der Kirche"

Der Skandal des Kindesmissbrauchs in der katholischen Kirche könne nur durch eine synodale, also gemeinsame Antwort der Bischöfe, ernsthaft bekämpft werden. Das betonte Kardinal Christoph Schönborn laut Kathpress am Rande der Kinderschutz-Konferenz im Vatikan am Freitag gegenüber "Vatican News".

"Für mich ist diese Begegnung, zu der der Papst alle Präsidenten der Bischofskonferenzen eingeladen hat, vor allem eine Erfahrung der Synodalität. Das Thema des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen ist ein Schock, ein Skandal, eine große Erschütterung der Kirche", so der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz.

Der Papst habe die Spitzen der Bischofskonferenzen weltweit zu dem aktuellen Treffen zusammengerufen, um sicherzugehen, dass das Bewusstsein für die Dringlichkeit und Gewichtigkeit des Problems von Kindesmissbrauch bis auf die Ebene der einzelnen Ortskirchen durchdringe, zeigt sich der Wiener Kardinal überzeugt. Es gelte ein gemeinsames Bewusstsein zu erreichen, aber auch gemeinsam aufeinander zu hören und miteinander über einen gemeinsamen Weg zur Lösung des Problems nachzudenken.

Die intensive mediale Berichterstattung über die Thematik solle nicht als "Kampagne" missverstanden werden, führte der Kardinal weiter aus. Er selbst interpretiere die aktuelle "intensive Welle der Beschäftigung" mit dem Missbrauch in der Kirche "nicht primär als einen Angriff auf die Kirche, sondern als den - vielleicht auch etwas paradoxen - Ausdruck einer Sehnsucht, dass die Kirche doch das sein sollte, was sie eigentlich ist, und was sie in vielen Gemeinden und Gemeinschaften auch tatsächlich ist: Nämlich eine Gemeinschaft der Hingabe für die Menschen, eine Gemeinschaft von Solidarität, in der Großes geschieht gerade für Menschen, die in Bedrängnis, Not und Armut sind."

Die Öffentlichmachung von Missbrauch solle daher nicht primär als ein Angriff verstanden werden, sondern eher als ein "Aufruf an die Kirche: ,Seid, was ihr seid, die Welt erwartet das von euch!' Und in diesem Sinn kann ich in diesen sehr schmerzlichen Offenlegungen dieses unseres kirchlichen Versagens auch etwas Positives sehen

Gipfel endet am Sonntag

An dem viertägigen Anti-Missbrauchsgipfel, der am Donnerstag im Vatikan begonnen hat und bis Sonntag läuft, beteiligen sich 190 offizielle Teilnehmer. Österreich wird durch Kardinal Christoph Schönborn in Rom vertreten. Abstimmungen oder Beschlüsse über Papiere sind nicht vorgesehen. Papst Franziskus wird am Sonntagvormittag zum Abschluss der Messe eine zusammenfassende Ansprache halten.