Der Stützbalken senkt sich bedrohlich, er droht zu brechen. Das neunstöckige Wohnhaus in der russischen Stadt Jakutsk ist in Gefahr. Nicht nur der Zahn der Zeit nagt an dem maroden Sowjet-Bau. Auch der Temperaturanstieg in dieser klimatisch extremen Permafrostregion setzt Tragwerk und Wänden zu.

Klimawandel allerorts

Jakutsk liegt im tiefsten Sibirien, die Stadt zählt bisher zu den kältesten der Erde. Kaum irgendwo bekommen die Menschen die Folgen des Klimawandels so unmittelbar zu spüren wie hier. Auch von Jakutsk aus blicken sie dieser Tage daher angespannt nach Katowice (Kattowitz), wo es bei der UN-Klimakonferenz (COP24) um konkrete Maßnahmen zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens geht. Dieses sieht die Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf deutlich unter zwei Grad vor.

Diese Marke hat Jakutsk längst überschritten. Um zweieinhalb Grad Celsius ist die Durchschnittstemperatur hier allein im vergangenen Jahrzehnt angestiegen, wie die Wissenschafter am Melnikow Permafrost-Institut sagen. Weil die Böden langsam auftauen, beginnen Gebäude zu wanken. "Seit dem Vorjahr hat das Haus Schlagseite und sich um 40 Zentimeter geneigt", sagt Eduard Romanow neben dem Wohnblock mit dem gefährdeten Stützbalken. "Es besteht die Gefahr, dass es sich weiter neigt", sagt der Bauarbeiter und Umweltschützer. Schon mussten mehrere Gebäude in der Stadt abgerissen werden, andere sind übersät mit Rissen.

Die Forscher vom Melnikow-Institut sehen die Entwicklung mit Sorge. Noch vor zwei Jahrzehnten gab es in der 300.000 Einwohner zählenden Stadt und der Region schulfrei, wenn die Temperaturen auf minus 55 Grad fielen. Doch das kommt kaum noch vor. Viele der Sowjet-Bauten in Jakutsk wurden aus Betonteilen gebaut. Sie stehen auf Pfählen, darunter eine Schicht aus einem Zement-Erde-Gemisch. Säßen sie direkt auf dem Boden auf, ließe die Wärme übertragende Bodenplatte den Permafrostboden tauen. Das Fundament würde instabil.

Doch nun lassen steigende Temperaturen im Sommer den Boden tauen. Alles sackt ab, was auf ihnen steht. "Ganz Jakutsk ist in Gefahr", warnt Romanow. "Die Eigentümer sind in Gefahr, ihren Besitz zu verlieren, und niemand ist darauf vorbereitet." Diese Probleme nähmen in Zukunft zu. "Wir müssen sie bereits heute angehen." Der Vizechef des Permafrost-Instituts, Michael Grigorjew, sagt: "Nichts, was auf Permafrost gebaut wurde, wurde in der Erwartung gebaut, dass es tauen wird. Wir müssen uns auf das Schlimmste vorbereiten."

Russlands Umweltministerium warnte dieses Jahr in einem Bericht, dass die Verschlechterung des Zustands der Permafrostböden viele Gefahren für Mensch und Natur berge. Die Entwicklung bedrohe Grund- und Abwasser, Ölpipelines sowie unterirdische Lager von chemischen, biologischen und radioaktiven Stoffen. Als arktisches Land ist Russland besonders von der Erderwärmung betroffen. Sie schreitet dort zweimal schneller voran als anderswo. Rund 65 Prozent des russischen Staatsgebiets haben einen Permafrostboden. Das Gebiet der Region Jakutien im Nordosten Sibiriens ist fast ausschließlich eine Permafrostbodenregion.

Schwund an der Küste

Fünfmal so groß wie Frankreich, hat Jakutien auch eine lange Atlantikküste. Auch dort zeigen sich die Probleme. Die arktische Küste verliere jährlich rund zwei Meter, sagt der Regionalpolitiker Wladimir Prokopjew. Die Region ist die erste in Russland, die ein Gesetz zum Schutz des Permafrosts erließ. In Moskau versuchen Regionalpolitiker das Problembewusstsein der russischen Regierung zu schärfen. Doch Prokopjew beklagt deren Zögerlichkeit. "Wir brauchen ein nationales Gesetz", fordert er.

In Jakutsk forschen die Wissenschafter in ihren unterirdischen Laboren unterdessen an Methoden, die schneller wirken, als die bürokratischen Mühlen mahlen. Sie suchen nach neuen oder verbesserten Bautechniken und Methoden, um den Boden gefroren zu halten. Schon verfügbar sind vertikal in den Boden versenkbare Rohre, die mit Kältemitteln wie Freon oder Kerosin gefüllt sind. Diese frieren nicht und verdunsten bei Kälte, ihr Niederschlag hält den Boden frostig. Die Erderwärmung aufhalten können sie jedoch nicht.