Drei Tage nach dem Einsturz der Autobahnbrücke in Genua vermissen die Behörden noch immer zehn bis 20 Menschen. Rettungskräfte suchten am Freitag in den tonnenschweren Trümmern nach weiteren Opfern. Feuerwehrleute löschten einen Brand in einem Lagerhaus unter der Brücke, der wohl durch einen Funken bei Metallschneidearbeiten beim Abräumen von Trümmern entstanden war.

Eine Studie aus den Jahr 2017 verursacht nun Aufregung. In einer Expertise der polytechnischen Universität Mailand vom November 2017 sind die von Beton ummantelten Stahlträger und Spannseile der Brücke als Sicherheitsrisiko bezeichnet worden. In dem Teil der Brücke, der kollabierte, hätten die Träger abnormal auf Vibrationen reagiert, hieß es.

Dies sei möglicherweise auf Korrosion zurückzuführen und müsse weiter untersucht werden, zitierten die Zeitungen "La Stampa" und "La Repubblica" aus dem Bericht, der von der Betreibergesellschaft Autostrade per l'Italia in Auftrag gegeben worden war.

Weitere Teile vor Einsturz?

Die Retter suchten indes die ganze Nacht auf Freitag nach weiteren Opfern und konzentrierten sich dabei auf die Trümmer eines Brückenpfeilers am linken Polcevera-Ufer. Bisher wurden 38 Tote geborgen. Mehr als 600 Menschen sind aus Sicherheitsgründen aus ihren Wohnungen in Gebäuden rund um den Unglücksort ausquartiert worden, weil ein Einsturz weiterer Brückenteile nicht ausgeschlossen werden kann. Die Behörden haben den Abriss dieser Häuser beschlossen, da der Standort zu gefährlich sei.

Für Samstag wurde Staatstrauer angeordnet. Samstagfrüh ist auf dem Messegelände von Genua eine staatliche Trauerfeier für die Opfer geplant, an der auch Präsident Sergio Mattarella und Ministerpräsident Giuseppe Conte teilnehmen werden. Der Staatssender Rai wird die Zeremonie live übertragen und hat angekündigt, aus Respekt vor den Opfern an diesem Tag keine Werbung zu senden.

Die Hinterbliebenen von bis jetzt 17 der 38 Todesopfer wollen die Zeremonie aber boykottieren und eigene Trauerfeiern abhalten. Sie machen schlechte Wartung für den Einsturz der Brücke verantwortlich und wollen mit ihrer Abwesenheit dagegen protestieren. Die italienische Tageszeitung "Corriere della Sera" (Freitag) zitierte laut Kathpress die Mutter eines 26-jährigen Opfers aus Torre del Greco bei Neapel mit den Worten: "Der Staat hat das verursacht; die dürfen sich nicht erlauben, sich dort (bei der Trauerfeier) blicken zu lassen. Der Auftritt der Politiker war eine Schande." Die staatliche Trauerfeier soll Genuas Erzbischof, Kardinal Angelo Bagnasco, leiten. Als Ort der Trauerfeier ist das Messegelände, einer der größten Plätze Genuas, vorgesehen.

Die italienischen Behörden verstärkten indes den Druck auf die Betreibergesellschaft. Das Verkehrsministerium leitete eine Untersuchung von Autostrade per l'Italia ein und gab dem Brückenbetreiber 15 Tage Zeit, um zu belegen, dass er alle vertraglichen Pflichten erfüllt hat. Zudem verlangt die Regierung von dem Unternehmen, die Brücke auf eigene Kosten wiederaufzubauen.

Der Präsident der Region Ligurien, Giovanni Toto, und Verkehrsstaatssekretär Edoardo Rixi erklärten laut der Nachrichtenagentur Ansa, Genua werde bis 2019 eine neue Autobahnbrücke haben. "Die Gesellschaft Autostrade wird sie bezahlen. Wer sie baut, werden wir abwägen", sagte Rixi. Das Unternehmen versicherte bisher, seinen Wartungspflichten stets nachgekommen zu sein. Die Zeitung "La Repubblica" berichtete am Freitag jedoch, dass eine von der Firma in Auftrag gegebene Studie schon 2017 Schwächen in den Tragseilen der Brücke entdeckt habe.

Die Einsatzkräfte bargen am späten Donnerstagabend die auf den Resten der Brücke noch stehenden Fahrzeuge. Darunter war auch der grüne Lastwagen, dessen Fahrer bei der Katastrophe am Dienstag wenige Meter vor der Abbruchstelle bremsen konnte.

In der neuen italienischen Regierung zeigten sich unterdessen erste Differenzen, wie weiter vorzugehen sei. Der Chef der Fünf-Sterne-Bewegung und Minister für Wirtschaftliche Entwicklung, Luigi Di Maio, bekräftigte am Donnerstagabend im Sender La7, man werde dem Unternehmen nicht nur die Lizenz für die Autobahn entziehen, sondern auch eine Strafe von bis zu 150 Millionen Euro verhängen und dafür - wenn nötig - vor Gericht ziehen.

Dagegen sagte der Innenminister und Chef der rechten Lega, Matteo Salvini, er wolle vom Betreiber "alles, was möglich ist" für die Angehörigen der Opfer, die Verletzten und die nun Obdachlosen bekommen. "Über Konzessionen, Strafen und Spitzfindigkeiten reden wir von kommende Woche an", zitierte ihn Ansa.

Schwere Vorwürfe

Die italienische Senatorin Laura Garavini warf der Regierung in Rom hingegen die Verbreitung falscher Nachrichten vor. "Es geht nicht um Aufklärung, sondern die Regierung verbreitet von höchster Stelle Falschmeldungen", sagte die Sozialdemokratin. Fake News würden zu Regierungspolitik. "Es ist ein Klima entstanden, wo Wahrheit, Seriosität und auch wissenschaftliche Erkenntnisse keine Rolle mehr spielen", kritisierte Garavini. Als Beispiel nannte die Senatorin eine Aussage des stellvertretenden Ministerpräsidenten Luigi Di Maio von der Fünf-Sterne-Bewegung. "Er behauptet, die Autobahngesellschaft Autostrade zahle Steuern nur in Luxemburg und habe uns im Wahlkampf unterstützt. Das ist definitiv falsch", erklärte die sozialdemokratische Parlamentarierin.

Der mehr als 40 Meter hohe Polcevera-Viadukt, der auch Morandi-Brücke genannt wird, spannte sich nicht nur über Wohnhäuser, sondern auch über Gleisanlagen und Fabriken. Die Brücke ist Teil der Autobahn 10 und verbindet den Osten mit dem Westen der Stadt. Sie ist als Urlaubsroute "Autostrada dei Fiori" bekannt und eine wichtige Fernstraße nach Südfrankreich, ins Piemont und in die Lombardei.

Benevento schließt ihre Morandi-Brücke

Nach dem Unglück in Genua hat die süditalienische Stadt Benevento eine ihrer Brücken für den Verkehr geschlossen. Es handle sich um eine Vorsichtsmaßnahme, die möglicherweise zu Staus führen könne, schrieb Bürgermeister Clemente Mastella am Freitagnachmittag bei Facebook. Aber die Sicherheit der Bürger sei seine erste Priorität.

Die Brücke werde erst wieder öffnen, wenn ein Expertenteam ihre Stabilität geprüft habe. Wie das am Dienstag in Genua eingestürzte Viadukt ist auch die in den 50er-Jahren erbaute San-Nicola-Brücke in Benevento das Werk des Ingenieurs Riccardo Morandi (1902-1989). Auch andere Städte in Italien haben Prüfungen von Morandi-Brücken angekündigt, darunter Rom, Florenz und Agrigent auf Sizilien. Erst am Donnerstag hatte die Stadt Rom mitgeteilt, sie habe zwei Millionen Euro für außerordentliche Renovierungsarbeiten an einer Morandi-Brücke auf dem Weg zum Flughafen Fiumicino bereitgestellt.